Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
blutrot gepolsterte Stühle das holzgeschnitzte Chorgestühl des Mittelalters, auf denen in rotem Ornat zu dieser frühen Stunde die Priester sitzen, ihre Morgenandacht zu feiern, eine in tiefer Andacht versunkene Gruppe frommer Männer, die ihrem Gott huldigen mit ihren ernsten feierlichen Gebeten, die sich emporschwingen in das dunkle Netz der Gewölbe.
Ich setze mich still zu den wenigen Gläubigen auf den Bänken vor dem Chor und lausche den Gebeten und Gesängen. Jetzt, hier an dieser Stelle, hat mein Weg zu meinem Heiligen im fernen Santiago begonnen, von diesem Chor in der großen Kathedrale wird er mich führen durch die unendlichen Weiten Spaniens – die grünen Olivenhaine Andalusiens, die verbrannten Steppen Extremaduras und Kastiliens, die rauhen Gebirge Galiciens mit seinen feuchten, tropfenden Wäldern zu seinem Grab auf dem Sternenfeld weit da oben im Norden.
Ich will acht Wochen unterwegs sein und 1000 Kilometer pilgern auf der Silberstraße. Mit einem stillen Gebet lege ich mein Schicksal in seine Hände. Er wird mich schützen auf dem langen, anstrengenden Weg.
Ich hatte im letzten Jahr im Dom zu Mainz ein Gelübde getan, daß ich dieses Jahr wieder zu ihm nach Santiago pilgern würde. Ich hatte es für meine Tochter getan. Ich wollte 1000 Kilometer zu ihm pilgern und er würde mir dafür meinen Vaterwunsch erfüllen. So war es abgemacht. Nun muß ich meinen Teil des Vertrages erfüllen und Jakob wird dann seinen Teil erfüllen. Wie er mir schon so manches Mal geholfen hatte auf meinem Weg, würde er mir auch diesmal helfen. So wie die Pilger des Mittelalters in tiefem Glauben an ihre Heiligen die gefährlichen Wege gingen und mit seiner Hilfe bestanden, so werde auch ich als moderner Pilger in diesem tiefen, einfachen Glauben meinen Weg bestehen. In dieser Kathedrale, geleitet von den Gesängen der Priester, beginne ich ihn.
Neben der Puerta del Príncipe – der Prinzentür – entdecke ich das Grabdenkmal von Christoph Columbus, der in einem mächtigen bronzenen Sarg unter einem Baldachin ruht, der von vier Herolden mit dem Wappen des Königreichs Kastilien getragen wird. Er ist der größte Sohn der Stadt, obwohl er eigentlich in Genua geboren wurde. Von Sevilla fuhr er 1492 mit seinen drei Karavellen den Guadalquivir hinunter, um für seinen König Amerika zu entdecken, im festen Vertrauen, daß die Erde eine Kugel sei und er am anderen Ende des Atlantischen Ozeans Indien erreichen würde. Indien erreichte er nicht, dafür entdeckte er einen neuen, unbekannten Kontinent und machte Spanien zum reichsten und mächtigsten Land Europas.
Vor der Kathedrale beginnt jetzt die Stadt zu erwachen. Ich beeile mich, die Residenz der Könige zu erreichen – die Reales Alcácares – bevor sie von den Touristenhorden überfallen wird. Ich habe Glück, noch sammeln sich die Trupps nach ihrem Frühstück im Hotel erst vor der Eingangspforte an der Plaza del Triunfo. Die Führer haben lustigerweise Regenschirme in verschiedenen Farben dabei, damit sie von ihren Schäfchen in der Menge erkannt werden. Eine wilde, aufgeregte, durcheinander quirlende Masse, zu der ich nicht gehöre.
Ich schlüpfe durch die Puerta de León und betrete eine Märchenwelt. Der ehemals islamisch-maurische Alcázar wurde nach der Rückeroberung 1248 durch Ferdinand III. „dem Heiligen“ und im 16. Jahrhundert durch Pedro I. „dem Grausamen“ zu einem prachtvollen Mudejár-Palast umgestaltet. Hier vermischt sich Orient und Okzident, die unglaublich fremdartige Dekorationslust Arabiens mit der rationalen Strenge der Renaissance und der überquellenden Phantasie des Barocks. Die Wände der Innenhöfe sind verkleidet mit blauweißen Azulejos – den glasierten Keramikfliesen – andere sind durchbrochen mit einem Gitterwerk aus Säulchen und Bögen und Radornamenten, so als sei es kein spröder Stein sondern zartes Lindenholz. Im Inneren der Höfe plätschern Kaskaden in marmorne Becken, erfrischende Kühle zerstäubend in der Gluthitze des andalusischen Sommers. Die Gärten quellen über von der tropischen Fülle des Südens, Palmen wiegen sich im Wind, Orangenbäume rauschen, grün geschnittene Hecken wispern, in den dunklen Teichen schillern goldene Fische. Noch die Reste lassen die unvorstellbare Pracht erahnen, in der die Kalifen lebten, „Tausendundeine Nacht“, wohingegen die Ritter und Könige Kastiliens in ihren dunklen, freudlosen und kalten Burgen hausten.
In der ganzen Altstadt spürt man diese maurische
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