Auf der Silberstrasse 800 Kilometer zu Fuss durch die endlosen Weiten Spaniens
muß ich springen oder falle der Länge nach ins Wasser. Also springe ich in die schlammige Flut, es ist nicht tief, das Wasser geht nur bis zum Knöchel. Einige Schritte durch den saugenden Schlamm und ich bin drüben am Ufer, Schuhe und Strümpfe sind zwar naß, aber das trocknet schon wieder.
In Guillena nehme ich mir im Hostal Francés für 18 Euro ein Zimmer, ich will nicht wie die anderen in der Turnhalle auf dem Boden schlafen, da es in dem Ort keine Herberge gibt. Wir treffen uns sowieso alle auf der Terrasse vor meinem Hostal, da dies der einzige Platz ist, wo man in diesem kleinen Ort etwas zu essen bekommt. Da sitzen wir nun alle an dem langen Tisch, Gebhard und Cäcilie, Hans und Annique Lillelund, zwei Franzosen aus Montpellier, und Max, der Italiener aus den Marken. Gemeinsam essen wir das einfache Abendessen zu 8 Euro – inclusive einer Flasche Rotwein: zwei Scheiben Pollo, zwei Spiegeleier, Patatas und Pimentos, alles schwimmend in fettigem Öl. So oder ähnlich sollten die meisten Pilgermenüs der nächsten Wochen aussehen. Der Wein kommt in Flaschen ohne Etikett auf den Tisch. Es ist der Wein aus der Gegend, man fragt nicht danach, er schmeckt immer zu diesem einfachen Essen und es macht uns Spaß und Freude zu erzählen.
Gebhard und Cäcilie sind bescheidene Leute, sie reden nicht viel, sie wollen wie ich den ganzen Weg nach Santiago machen. Hans Lillelund aus Montpellier ist kein Franzose, sondern, wie sein Name schon vermuten läßt, Däne. Er lebt aber schon seit langem mit seiner französischen Frau in Montpellier. Auch sie wollen den Weg nach Santiago gehen. Max ist ein Original, ein Verrückter, eine Figur wie aus einem Film von Fellini. Mit seinem schwarzen Vollbart und seinem eingefallenen, asketischen Gesicht sieht er aus wie Bin Laden. Er redet pausenlos mit Händen und Füßen, so wie ein echter Südländer, allerdings nur Italienisch. Ich habe als einziger in der Runde die Aufgabe, seine Worte ins Französische und Deutsche zu übersetzen, was oft nicht so einfach ist, da ich in einem spanischen Land, dessen Sprache ich ja auch spreche, vom Italienischen über das Deutsche ins Französische übersetzen muß, wobei mir wegen der Ähnlichkeit der beiden Sprachen manchmal die spanischen Worte dazwischen rutschen. Egal, ob Spanisch, Französisch, Italienisch oder Deutsch, am Ende verstehen wir uns ganz prima und werden Freunde für die Zeit unseres gemeinsamen Weges.
Das ist die Faszination dieser Jakobswege, wo Menschen aus ganz Europa zusammen kommen, zusammen laufen, zusammen reden und auch zusammen glauben – dieser heilige Weg, der schon immer, seit Jahrhunderten, von diesen vielen Nationen begangen wurde mit dem einzigen Ziel, das Grab des Heiligen in Santiago zu besuchen und einer von ihnen zu sein, den Jakobspilgern.
Max ist angezogen wie ein Clown, in wallenden, knallbunten Hosen, die um seine mageren Beine schlottern, ebenso farbenprächtigem T-Shirt, ein italienischer Don Quichotte. Er lebt auf einem verlassenen Hof, 160 Kilometer von Assisi entfernt, irgendwo in den Marken, dem Land südlich der Toskana und Umbriens, wandert nach Assisi, Perugia und in die Abruzzen, hat ein Zelt dabei, in dem er übernachtet. Doch vorher ißt und trinkt er mit uns, erfreut uns mit seinen Scherzen, seinem Lachen und seinen Geschichten. Dann packt er seine Sachen und verschwindet in der Nacht, um dann irgendwann am nächsten Tag wieder aufzutauchen.
Schon beginnt das Pilgerabenteuer – drei Nationalitäten – drei Sprachen – drei Geschichten: die einen haben Schuhe und Strümpfe ausgezogen und sind barfuß durch die schlammige Flut gewatet, die anderen hatten Glück, daß ein Traktor vorbei kam, auf dessen Anhänger sie hinüber fahren durften. Ich erzähle meine Version von dem Baumstamm und dem Sturz in den Bach. Ich hörte von Pilgern im April, die tagelang nicht weiter konnten, weil der Weg durch überflutete Flüsse unpassierbar war. Deshalb sollte man ihn auch nicht vor Anfang Mai gehen.
Der Unfall
Samstag, der 6. Mai, von Guillena nach Castilblanco
de los Arrogas, 18 Kilometer, gesamt 40,8 Kilometer
2. Wandertag
Ich stehe wieder früh auf. Kurzes Frühstück in der Bar, die schon um sieben Uhr geöffnet hat. Café Solo, Croissant, Wasser, wie gestern, um den trockenen Mund auszuspülen, dann geht es raus in die Morgendämmerung auf die noch leeren halbdunklen Straßen. Man muß früh aufbrechen in diesem heißen Land. Die Morgen sind noch kühl und frisch nach den
Weitere Kostenlose Bücher