Auf der Sonnenseite - Roman
Bomben auch in das Bewusstsein der Massen zu werfen. Man wollte ihr Vortrupp sein, die Avantgarde! Doch was wussten das verwöhnte Bürgerkind Andreas Baader, der sich als roter General gerierte, die revolutionäre Pastorentochter Gudrun Ensslin und die ebenfalls christlich geprägte Journalistin Ulrike Meinhof von dieser »Masse«, die sie mit Terroraktionen für sich gewinnen wollten? Glaubten diese Amokläufer wirklich, mit Phrasen und Gewaltmethoden bei der Mehrheit der Bevölkerung eine Bewusstseinsänderung in Gang setzen zu können?
Ziel der Terroristen war es, aus dem System, das sie ablehnten, jene rigorose Härte herauszukitzeln, zu der es, in die Verteidigung gedrängt, fähig war. Einerseits um die Stimmung aufzuheizen, andererseits um sich und denen, die auf ihrer Linie lagen, zu beweisen, dass das eigene Weltbild stimmte. Eine tödliche Strategie, eine, mit der sie den Hardlinern im Staat, der nach Antritt der sozialliberalen Koalition ja eigentlich »mehr Demokratie wagen« wollte, sehr entgegenkamen, lieferten sie ihnen auf diese Weise doch jede Menge Rechtfertigungsgründe für all die übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen, mit denen man der Terrorszene Herr werden wollte. Sondergesetze, härtere Haftbedingungen, eine immens erhöhte Polizeipräsenz und stetig neue Fahndungsmethoden waren die Folge. Wer trifft wen, wollte man wissen. Wer meldet sich wo im Hotel an? Wer mietet wo ein Auto? Wer passiert wann welche Grenze?
Höhepunkt des Ganzen: der Radikalenerlass, auch Extremistenbeschluss genannt. Eine wahre Hexenjagd. Hunderttausende Anwärter des öffentlichen Dienstes, vom Lehramtsanwärter bis zum Lokomotivführer, mussten sich Gesinnungsüberprüfungen gefallen lassen. Ob sie denn auch wirklich auf dem Boden des Grundgesetzes standen, wollte ihr Staat wissen. Folgen dieser Schnüffelei auf höchstem Niveau: Verunsicherung und Angst vor Berufsverboten, Missbrauch und Denunziantentum. Und das alles, obwohl nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Überprüften den Gesinnungstest nicht bestand, wie bald bekannt wurde.
Es fiel der Terrorszene und ihrem Sympathiefeld leicht, in dieser Überreaktion des Staates »faschistische Tendenzen« auszumachen. Dennoch: Ein dummes Wort! Es entsetzte Lenz nicht weniger als jene Angstbeißerei des Staates. Was wussten die, die es so locker in den Mund nahmen, vom Faschismus? Und selbst wenn sie im Recht wären, wie hätten sie diesen Tendenzen denn mit Terror beikommen können?
Bereits im Mai 72, drei Monate bevor Hannah und Manfred Lenz von der Stasi verhaftet worden waren, hatte es in der Bundesrepublik die erste größere Serie von Anschlägen mit Toten und Verletzten gegeben. Im August 73, als sie in den Westen ausreisen durften, saß der harte Kern der RAF bereits seit über einem Jahr in Haft – im bombensicheren Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim; eine wahre feste Burg des Staates.
In manchen Medien wurde über die Haftbedingungen geklagt; das Wort »Isolationsfolter« machte die Runde. Lenz, der seine Stasi-Haft noch gut in Erinnerung hatte, fand diese Klagelieder erst nur übertrieben, dann lächerlich. Zwar hatten anfangs einige der Terroristen unter Haftbedingungen leiden müssen, die denen der Stasi-Untersuchungshaftanstalten nicht unähnlich waren, doch hatte jeder der Inhaftierten jederzeit seinen Rechtsanwalt kontaktieren dürfen und war schon allein deshalb nicht so isoliert, wie Hannah und er es über Monate hinweg gewesen waren. Inzwischen genossen die führenden RAF-Leute ein äußerst komfortables Häftlingsleben. Sogar ihre Forderung, in größere Gruppen zusammengelegt zu werden, hatte der Staat akzeptiert! Der Wunsch, sich während ihrer »Vernichtungshaft« täglich bis zu acht Stunden treffen zu dürfen – und das auch in »gemischten Gruppen« –, er wurde ihnen erfüllt. Ein wahrhaft fideles Knastleben! Unter normalen Haftbedingungen unvorstellbar. Allein der Kontakt zu anderen, nicht der Terrorszene angehörenden Häftlingen blieb ihnen untersagt.
Aber auch wenn sie in ihren Zellen eingeschlossen waren, konnten die Baader, Ensslin, Raspe und Meinhof, wie später herauskam, miteinander kommunizieren. Dank einer von ihnen mit eigenen Mikrofonen manipulierten Lautsprecheranlage. – Wie diese Technik in ihre Zellen kam? Mal die Anwälte fragen. Die konnten ihren Mandanten ja alles in die Zellen schleusen, offiziell Erlaubtes wie Bücher, Schreibmaschinen, Fernseh- und Rundfunkgeräte und einen
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