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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Dietz oder in der Nachbarschaft, der dieses mediale Großereignis nicht mitverfolgte und sagte, was er von dem Ganzen hielt.
    »Was das alles kostet! Früher hätte man mit so was kurzen Prozess gemacht. Der Staat ist viel zu milde.« So hörte Hannah es im Supermarkt.
    »Die gehören in die Klapsmühle, diese Rotarmisten. Klappe zu, Affe tot!« So wurde in der S-Bahn geredet.
    »Warum schiebt man die nicht in die DDR ab? Oder besser gleich nach Russland. Da können die mal sehen, wie schön das Leben im Sozialismus ist.« Ein Kollege bei Willgruber & Dietz .
    Unter bisher unvorstellbaren Sicherheitsvorkehrungen fand er statt, dieser Monsterprozess, über einhundertzweiundneunzig Verhandlungstage zog er sich hin. Lenz und Hannah und mit ihnen viele Millionen Fernsehzuschauer in aller Welt, Abend für Abend konnten sie mitverfolgen, wie die Angeklagten und ihre Verteidiger versuchten, den Gerichtssaal zur politischen Bühne umzufunktionieren. Der Staat sollte diskreditiert, das Ganze zur Justizfarce gemacht werden. Doch konnte das nicht gelingen. Und als es nicht gelang, zerstritt die RAF-Führung sich. Seit längerer Zeit schwelende Konflikte brachen offen aus – und führten am Ende zu Ulrike Meinhofs Selbstmord.
    Die Mutter von Zwillingstöchtern, von so manchem ehemaligen Journalistenkollegen als »neue Jeanne d’Arc« verspottet und von ihren Mitangeklagten, denen sie wohl nicht revolutionär genug war, als »bourgeoises Schwein« beschimpft, war schon seit längerer Zeit ein gebrochener Mensch. Nach vierjähriger Haft, von Selbstzweifeln gequält, musste ihr der Tod als einziger Ausweg aus der Sackgasse, in das ihr Leben geraten war, erschienen sein. So erhängte sie sich schließlich am Gitter ihres Zellenfensters. Nach RAF-Terminologie: Ein neuer Mord des Staates, eine weitere Märtyrerin!
    Die junge Frau hatte darauf gesetzt, dass es die Menschen in den kapitalistischen Ländern eines Tages satthaben würden, nur satt zu sein. Gegen das Immer-mehr-Fressen, nur um nicht nachdenken zu müssen über all das Grausame, das in der Welt geschah, vor allem aber gegen dieses ewige Immer-mehr-haben-Müssen hatte sie ankämpfen wollen. Von Zorn und Hass auf die bürgerliche Welt in die Terrorszene hineingetrieben, musste sie dann irgendwann nicht mehr erkannt haben, wohin der Weg der Gewalt unweigerlich führte. Ein Schicksal, das Lenz betroffen machte, auch wenn er keinerlei Sympathie für diesen Absturz ins Verbrechen empfand.
    Am Zeitungskiosk, Bier und Flachmann in der Hand, resümierte man kürzer. »Gut, dass sie Schluss gemacht hat!«, sagte einer, der fast jeden Tag dort stand und bereits glasige Augen hatte. Sein Zechgenosse nickte tapfer. »Klar! Wer so locker andere Menschen opfert, muss auch zu sich selbst hart sein.«
    Bei Willgruber & Dietz hieß es: »Na ja! Vielleicht ganz gut so. Was hätte sie von ihrem Leben denn noch gehabt? Die wär ja doch nie wieder rausgekommen.«
    Fränze setzte der Tod Ulrike Meinhofs ganz besonders zu. Jahrelang hatte sie mitverfolgt, was die frühere Journalistin an politischen Stellungnahmen veröffentlichte, und war oft ihrer Meinung gewesen. Ihren Absturz in den Terrorismus hatte sie zwar bedauert, doch zugleich Verständnis dafür gezeigt. Ein Verständnis, das ihre Schwester und ihren Schwager sehr verwunderte. Was Fränze jedoch nicht störte. Ihrer Ansicht nach war es gar nicht möglich, dass die so frisch aus dem Osten Importierten diesen »Krieg« verstehen konnten.
    »Natürlich habt ihr mit der Gewaltbereitschaft der RAF eure Schwierigkeiten«, dozierte sie an einem herrlichen Frühsommertag nur wenige Wochen nach jenem Stammheimer Selbstmord, als sie mit ihr und Ralf in einem ruhigen, nur von wenigen Besuchern frequentierten Taunus-Biergarten saßen. »Aber selbstverständlich hatte Meinhof recht. Wir leben nun mal in einem Kaufen-Fressen-Reisen-Staat, in dem die Menschen dumm und klein gehalten und mit Konsum betäubt werden, nur damit sie die großen Ungerechtigkeiten ihrer Zeit nicht sehen. Na, und wer das erkannt hat, der muss doch was ändern wollen an dieser Gleichgültigkeit. Oder etwa nicht? Um das Establishment mal so richtig aufzuschrecken. Sollen die Leute doch mal sehen, was alles faul ist im Staate Bundesrepublik.«
    Sie blickte Schwester und Schwager in die ungläubigen Gesichter, trank von ihrem Wein und seufzte. »Ja, na klar haben es diese RAF-Typen in ihrem Hass übertrieben. Ihre Beweggründe aber sind nachvollziehbar. Eine wahre Demokratie

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