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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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später noch eine gewichtige Rolle spielenden Plattenspieler und so ganz nebenbei auch Verbotenes wie etwa jene Mikrofone und einen Fotoapparat. Das Rein- und Rausschmuggeln von Kassibern und Fotos der »Märtyrer«, mit denen die noch in Freiheit befindlichen Mitkämpfer zu Befreiungstaten angestachelt werden sollten, war da eine eher leichte Übung für jene »Anwälte des Rechts«, von denen einige so verblendet waren in ihrem Eifer, den Staat als »faschistisch zu überführen«, dass sie im Lauf der Zeit selbst in die Terrorszene abtauchten.
    Für die ehemaligen Stasi-Häftlinge Hannah und Manfred Lenz war es ein wahrer Volkshochschulkurs, zu beobachten, wie ihr neuer Staat mit seinen Feinden umging. Mal lachten sie nur amüsiert über das, was die Medien über jene Haftbedingungen berichteten, mal schüttelten sie ungläubig den Kopf, mal zweifelten sie heftig, weil ihnen diese Storys zu dick aufgetragen erschienen. Sie waren sehr dafür, dass Häftlinge anständig behandelt wurden, hatten am eigenen Leib erfahren, wie es war, wenn ein Staat sich anders verhielt. Sie begrüßten es, dass diese Staatsfeinde keiner wirklichen Isolationsfolter unterlagen – dennoch: Was hier geschah, geriet hin und wieder in die Nähe einer Komödie.
    Rohe Eier würden kaum vorsichtiger angefasst, sagte Hannah eines Abends, als der Duft nach in der Pfanne brutzelnden Buletten nicht nur die Küche, sondern die ganze Wohnung durchwaberte und sie gerade die Schalen der dazu verwendeten Eier in den Abfall warf. Sagte es, schaute den Eierschalen nach, als hätten die wirklich etwas mit dieser Sache zu tun, und fragte sich danach, was wohl die Stasi-Oberen, die ja ganz sicher auch die westlichen Medien verfolgten, über so viel »falsch verstandene Humanität« ihrer westlichen Kollegen dachten?
    Es war einer von Lenz’ ersten nikotinfreien Abenden. Wenige Tage zuvor hatte er alle seine Zigaretten, den Tabak und auch die Tabakspfeifen vor den Augen der Kinder in den Müll geworfen und geschworen, nie wieder zu rauchen. Sollten sie ihn doch dabei erwischen, wollte er Silke und Micha je fünfzig Mark Bußgeld zahlen. Ein Versprechen, das es ihm leichter machen sollte, seinem Nikotinjieper nicht nachzugeben. Welche Blamage, bei einer solchen Charakterschwäche erwischt zu werden! Irgendwie aber musste er die fehlende Nikotinzufuhr kompensieren – er tat es, indem er in der Küche herumfuhrwerkte, als gelte es, ganz neue, ungeahnte Talente zu beweisen. Über Hannahs Frage dachte er kurz nach, dann antwortete er: »Für die ist das doch mal wieder nichts als ein Beweis dafür, dass so ein Rechtsstaat eben doch nur ein äußerst schlampiges Gebilde ist. Da dürfen sie sich uns gleich wieder überlegen fühlen. Sie werden sich die Hände reiben und denken, eines Tages werden wir sie schon noch unterbuttern, diese zimperlichen Demokraten.«
    Er wendete die Buletten in der Pfanne und fügte noch hinzu: »Aber dabei machen sie einen großen Fehler. Sie glauben, sich mit harter Zucht und Kontrolle für alle Zeiten gegen Systemgegner absichern zu können. Und übersehen dabei ihre Achillesferse, nämlich dass gerade wegen dieser Härte und Kontrolle die Gegner immer mehr werden.«
    Hannah, zur Küchenhilfskraft degradiert und diese Rolle genießend, nickte und sagte: »Wenn’s um Staaten geht, finde ich: Je schlampiger, desto lieber! Schlampig ist ja irgendwie human. Bin nicht scharf auf 1984 .«
    Sie hatte Orwells Schreckensvision von einer total kontrollierten Gesellschaft gerade erst beendet. Das Grauen, das sie bei der Lektüre dieses Buches empfunden hatte, wirkte noch nach. Und das wirkliche 1984 war ja nun bald erreicht. Nicht mal mehr zehn Jahre. Und war so manches von dem, wovor Orwell bereits 1949 gewarnt hatte, im östlichen Europa nicht längst Alltag geworden?
    Ja, lieber mal eine Fahndungspanne in Kauf nehmen, dachte auch Lenz, lieber mal einen Schuldigen aus Nachlässigkeit entwischen sehen, als einer totalen Kontrolle unterworfen zu sein. Ihr neuer Staat aber schien noch zu schwanken, welcher der richtige Weg war.
    Es gab den ersten Toten unter den Terroristen; Folge eines lang anhaltenden Hungerstreiks der inhaftierten RAF-Leute. Der eigene Körper Waffe gegen den Feind – eine Art der Kriegsführung, der Holger Meins im November 1974 zum Opfer fiel. Womit aus Sicht der RAF-Führung ein Märtyrer gefunden war.
    Mitleid sollte geweckt und der Staat als Mörder demaskiert werden. Was sich in vielen Köpfen auch so

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