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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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was geredet wurde, und sah den Leuten dabei in die Gesichter. Hatten sie Angst? Oder hielten sie das Ganze nicht doch nur für eine recht spannende Real-Krimiserie? Und wie stand es denn nun um die, die bisher eine klammheimliche Sympathie aufgebracht hatten? Die RAF gefährdete mit ihrem »Krieg« nicht den Staat, wohl aber den Rechtsstaat.
    Sie waren weniger geworden, fand er, vielleicht sogar sehr viel weniger. Der Staat in seiner Verunsicherung jedoch wollte oder konnte das nicht sehen. Ein Krisenstab wurde eingerichtet, und man verständigte sich auf eine harte Linie: Keine Freilassung von Häftlingen, dafür die Verhängung einer totalen Kontaktsperre, damit die RAF-Führung nicht weiter aus dem Gefängnis heraus den Lauf der Dinge beeinflussen konnte.
    Es dauerte vier Wochen, bevor diese Kontaktsperre – gesetzlich abgesichert – in Kraft treten konnte. Von diesem Tag an war jeglicher Kontakt der Häftlinge untereinander und zur Außenwelt untersagt. Vor allem der zu ihren Anwälten.
    Neue Munition für die noch verbliebenen Sympathisanten der Terrorszene, doch nur ein erster Höhepunkt in einer langen Reihe von Gesetzen zur Bekämpfung des Terrorismus. Bald waren auch ein Verteidigerausschluss, Verhandlungen in Abwesenheit der Häftlinge und die Installierung einer Trennscheibe bei Gesprächen zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten gesetzlich erlaubt. Wohnungsdurchsuchungen wurden erleichtert und eine Kronzeugenregelung eingeführt: Wer seine Genossen verriet, der sollte mit einer milderen Strafe davonkommen.
    Eine im doppelten Sinn »bleierne« Zeit. Die Bundesrepublik befand sich im Ausnahmezustand. Zwar war der nie erklärt worden, doch wenn Lenz die Fernsehnachrichten sah, das Radio anschaltete oder die Zeitung aufschlug, dann empfand er den Druck, der auf dem ganzen Land lastete. Die Überprüfungen und Verdächtigungen nahmen zu, die Rasterfahndung wurde entwickelt und ausgebaut – ein perfider Abgleich personenbezogener Daten nach bestimmten Rastern, um festzustellen, wer »ermittlungsbedeutsame Merkmale« aufwies. Man wollte herausfinden, wer den Mördern immer wieder Unterschlupf gewährte, Botengänge übernahm, Waffen besorgte oder Tipps gab, und trat dabei so manchem vorschnell Verdächtigten böse vors Schienbein. Es ging so weit, dass man mit Computerprogrammen nach Leuten fahndete, die ihre Stromrechnungen bar bezahlt hatten.
    Jedes ungewöhnliche Verhalten wurde untersucht, die ganz große Keule sollte geschwungen, der Sympathisantensumpf mit aller staatlichen Gewalt trockengelegt werden. Eine regelrechte Sympathisanten-Hatz begann.
    Grund für Hannah, sich von Tag zu Tag mehr um Fränze zu sorgen. »Mein Gott, sie hält doch nie die Klappe! Jedem schildert sie, wie sie die Sache sieht.«
    Sie besuchten sie, saßen in ihrem von Büchern, Zeitschriften und anderen Papieren überquellenden Wohnzimmer und baten sie, doch vorsichtiger zu sein. »Kommst sonst noch in Teufels Küche.«
    Gelassen rauchte sie ihre Zigarette. »Schau an, schau an! Habt inzwischen also auch ihr erkannt, dass man in unserem Paradies der Demokratie und Freiheit nicht alles sagen darf, was man denkt?«
    Lenz gab zu, dass der Staat mit viel zu großen Kanonen schoss. Andererseits war er der Meinung, dass inzwischen doch auch dem letzten »Gutgläubigen« die Augen über den wahren Charakter der RAF aufgegangen sein mussten.
    »Egal was die Politik alles falsch macht«, redete er auf Fränze ein, »die da im Knast sitzen und mit jedem nur möglichen Bluteinsatz herausgeholt werden sollen, sind keine linken Volkshelden. Baader ist kein Liebknecht und die Ensslin keine Rosa Luxemburg. Und eine Welt, in der deine Rote-Armee-Fraktion ihre Vorstellungen vom Sozialismus verwirklicht – wer nicht für uns ist, weg damit! –, nein, Fränzchen, für eine solche Welt bedankt sich das ›Volk‹, das sich diese Art von ›Befreiern‹ nun wirklich nicht ausgesucht hat.«
    »Glaubt ihr etwa, dass ich diese Morde gutheiße?« Fränze hielt ihre spöttische Miene nicht lange durch. Lenz erschien es sogar, als sei sie inzwischen über sich selbst erschrocken. So, als habe sie erkannt, dass sie viel zu lange etwas nicht Verteidigungswürdiges verteidigt hatte. Zugeben aber wollte sie das nicht. »Das Einzige, was ich immer wieder sage und noch lange sagen werde«, so beharrte sie, »ist, dass diese ›furchtbaren Kinder‹ unsere Kinder sind. Sie sind die Kinder unserer Art von ›Demokratie‹, wir – unser Gesellschaftssystem –

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