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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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haben sie geformt und erzogen. Sie sind nicht von selbst zu dem geworden, was sie sind. Deshalb sollten wir sie nicht leichtfertig zu dumpfen Verbrechern oder Verrückten abstempeln, sondern über unseren Anteil Schuld an ihren Taten nachdenken.«
    Eine halbe Einsicht, die Hannah nicht genügte. »Nein«, widersprach sie. »Damit machst du’s dir zu leicht. Es sind ja nur sehr, sehr wenige, die einen solchen Hass entwickelt haben. Die übergroße Mehrheit deiner ›Kinder‹ bombt nicht, mordet nicht und überfällt keine Banken; die findet andere Möglichkeiten, Kritik zu äußern.«
    Sie hatte das nicht anklagend, sondern eher traurig gesagt. Fränze spürte das und antwortete lange nichts, fragte dann nur plötzlich, als hätten sie zuvor über etwas ganz anderes gesprochen: »Und? Wohin fahrt ihr dieses Jahr in die Ferien? Wieder an die Nordsee?«
    Für lange Zeit das Ende all ihrer ernsthaften Gespräche.
    Der »Deutsche Herbst«, so wurde dieser lang währende Albtraum später genannt; ein Herbst, in dem das ganze Land vor dem Fernseher saß und den Kampf um Hanns-Martin Schleyers Leben mitverfolgte. Vierundvierzig Tage unausgesetzter Spannung.
    Würde die Regierung den »Boss der Bosse« opfern? Es war bekannt, dass Schleyer in jungen Jahren erst der HJ, dann der NSDAP und schließlich der SS angehört hatte und viele ihm ein ungebrochenes Verhältnis zu seiner Vergangenheit attestierten. Aber war das in einem solchen Fall überhaupt von Belang? Für Lenz und den übergroßen Teil der Bevölkerung jedenfalls nicht. Mit Entführung und Mord arbeitet man keine Geschichte auf.
    Der Staat spielte auf Zeit. Zwar verlangte er immer wieder Lebenszeichen Schleyers, doch war er nicht bereit, einem Gefangenenaustausch zuzustimmen. Die Tage schleppten sich dahin. Bis der Druck auf die Bundesregierung noch erhöht wurde, als ein palästinensisches Befreiungskommando, arabische Gesinnungsgenossen der RAF, auf den Plan trat und eine Lufthansa -Maschine entführte: Der »solidarische« Versuch, Schleyers Entführer zu unterstützen und so ganz nebenbei fünfzehn Millionen Dollar Lösegeld zu kassieren. Sechsundachtzig Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder befanden sich an Bord der Landshut , eine Odyssee ohnegleichen begann, ein Irrflug über Rom, Zypern, Bahrein, Dubai und immer weiter. Die Regierenden in Bonn aber gaben nicht nach; kein neuer Fall Lorenz, kein weiterer Präzedenzfall!
    Lenz sah die inhaftierten Terroristen vor sich. Sicher waren sie über diese Aktion informiert, saßen in ihren Zellen, warteten, bangten, hofften. Ihre letzte Chance, freizukommen! Und er sah Hanns-Martin Schleyer vor sich, wie die, die ihn gefangen hielten, ihn für die Öffentlichkeit fotografiert hatten. Mit einem Schild vor der Brust: Seit 20 Tagen, seit 25 Tagen, seit 31 Tagen Gefangener der R.A.F. Im Hintergrund der fünfzackige Stern mit der Maschinenpistole und den drei Buchstaben RAF.
    Schleyers Familie ging vor das Bundesverfassungsgericht, um einen Austausch der Gefangenen zu erwirken. Ergebnislos. Die Staatsräson hatte Vorrang.
    Ein anderes Bild, das Lenz in jenen Tagen verfolgte: Die Geiseln auf ihrem Flug von einem Land ins andere. Sie kamen aus dem Mallorca-Urlaub, hatten sich auf dem Heimflug befunden. Wie war ihnen zumute, welche Ängste standen sie aus? Und Fränze, Ralf und all die anderen offenen und klammheimlichen Halb- und Ganzsympathisanten, wenn sie mit an Bord wären, würden sie dann immer noch ein »gewisses Verständnis« aufbringen?
    In Aden musste die Lufthansa-Boeing neben der von Panzern abgesperrten Rollbahn notlanden. Die jemenitische Regierung hatte ihr die Landeerlaubnis verweigert, um jede Verhandlung mit den Entführern von vornherein auszuschließen. Die Landshut aber musste landen, ihr Sprit ging zur Neige. Kurz darauf die Nachricht, dass der Flugkapitän von den Entführern – zwei Männer, zwei Frauen – erschossen worden war. Eine Warnung an die deutschen Behörden, die noch immer über keinen Austausch verhandeln wollten. Wir machen Ernst!
    Was für eine Last lag auf dem Land! Es wurde kaum noch über anderes geredet. Hannah spürte die Spannung fast körperlich, glaubte, sie nicht länger aushalten zu können. Die Frage war: Austauschen oder nicht? War es denn nicht besser, ein paar Schuldige kamen frei, damit im Fall der Fälle nicht so viele Unschuldige sterben mussten?
    Dachte Lenz an die Passagiere der Landshut , war er geneigt zu sagen: Ja, tauscht sie aus. Wäre meine Frau, wären

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