Auf der Sonnenseite - Roman
Vorhaben einweihen. Sie hätte sie sonst gefährdet. Wer einen solchen »Staatsverrat« nicht umgehend bei der Polizei anzeigte, machte sich mitschuldig. Und kam selbst in Haft.
Und später, im Westen? Da hatte sie nicht gewagt, sich bei Wolf und Monika zu melden. Sie hatte den beiden nicht schaden wollen. Immerhin war Monika inzwischen Abteilungsleiterin in einer großen Firma und ihr Mann Wolf hatte seinen Doktor in Physik gemacht; förderlich wären den beiden solche von ihrem Staat nicht erwünschten »Kontakte« sicher nicht gewesen.
Jetzt, fünfzehn Jahre später, zurück in Berlin, kam ein Lebenszeichen von Monika. Eine Rundfunksendung über Lenz hatte die Freundin auf ihre Spur gebracht und ein WestBerliner Bekannter hatte ihre Adresse herausgefunden. Als Lenz Hannah den Brief überreichte, schrie sie vor Freude laut auf. Mit einem Blick hatte sie die Schrift erkannt. »Moni! Menschenskinder, der Brief ist von Moni!«
Es gab ein erstes, tränenreiches Wiedersehen, weitere Besuche folgten. Monika und Wolf fürchteten keine Schwierigkeiten mit ihrer Obrigkeit, standen sie doch ohnehin nicht auf der Liste der von Staat und Partei geförderten Bürger. Sie bevorzugten ihr eigenes »gesellschaftliches Leben«, nicht das offiziell erwünschte. Weshalb Wolf immer wieder Kollegen, die weniger von ihrem Fach verstanden als er, wenn es um Reisen zu Kongressen oder Tagungen ins westliche Ausland ging, den Vortritt lassen musste. Er war darüber aber nicht traurig. »Ein Schicksal unter vielen«, sagte er nur, um schelmisch grinsend und damit seinen Schnauzer noch weiter in die Breite ziehend hinzuzufügen: »Moskau ist ja auch ganz schön. Da gibt’s so ’ne gute Soljanka.«
Zu viert besuchten sie OstBerliner Kneipen, und Lenz freute das Stimmengewirr, das ihn umgab. »Im Dialekt schöpft die Seele ihren Atem«, hieß es bei Goethe. Heimatgefühle pur!
Und auch, als sie mit Monika und Wolf zwischen Dom und Alter Nationalgalerie über den Lustgarten schlenderten, wehte es ihn an, dieses Heimatgefühl. Wie oft war er als Kind diesen Weg gegangen! Seine Freunde und er hatten sogar versucht, in die versperrte Dom-Ruine zu gelangen, sie hatten sich ein tolles Abenteuer davon versprochen. Doch leider waren alle Türen verriegelt und verrammelt und die vermuteten goldenen Kirchenschätze blieben ungehoben. Später, als Kinderheim-Zögling, musste er hier im Marschblock antreten, um über die Freifläche zu marschieren, auf der zuvor die Ruine des auf Befehl der DDR-Oberen gesprengten Berliner Stadtschlosses gestanden hatte. Vorbei an Pieck, Ulbricht und Grotewohl war es gegangen, winkend und eingeübte Parolen schreiend. Jetzt stand an dieser Stelle der Palast der Republik , ein viereckiger, teuer ausgestatteter Kasten, in dem die Volkskammer tagte und Cafés, Restaurants und ein Theater untergebracht waren. Offiziell der Stolz der Republik, im Volk als »Erichs Lampenladen« oder »Palazzo Protzo« verspottet. Für Monika, blond und kein Blatt vor den Mund nehmend wie eh und je, nichts als ein monströser Schuhkarton. »Das Schloss war zuerst da, alle Bauten drum herum sind nur in Bezug darauf entstanden. Erichs Funktionärstempel passt da einfach nicht hin.«
Worte, Lenz direkt aus der Seele gesprochen.
Dafür ritt Unter den Linden wieder der Alte Fritz. Jahrzehntelang war er in den Park von Sanssouci verbannt, jetzt hatte er sich seinen angestammten Platz zurückerobert. Für Lenz eine allgemein unterschätzte Sensation. Immerhin ritt Friedrich der Große ja unentwegt in Richtung Osten.
Wolf erklärte ihm, dass die Genossen Honecker & Co. gerade dabei waren, ihr Verhältnis zur Vergangenheit zu überdenken. »Würde mich nicht wundern, wenn bald auch wieder Bismarck-Denkmäler zu sehen sind. Das Schloss jedenfalls hätten sie jetzt wohl nicht mehr abgerissen, unsere Genossen Bilderstürmer, und wohl auch keine FDJ-Schulungszentrale daraus gemacht. Heute wäre das so was wie unser Buckingham-Palast für Erich I.«
Schön, wenn Irrtümer irgendwann eingesehen wurden! Noch schöner aber, so Lenz, wenn jener Erich I. neben seinem Verhältnis zur Vergangenheit auch mal das zur Zukunft korrigieren würde. Erst vor Kurzem hatte er laut getönt, die Berliner Mauer würde auch in fünfzig oder hundert Jahren noch stehen, wenn sich im Westen nichts ändere. »Davon, dass sich vor allem im Osten was ändern müsste, hat er leider nichts gesagt.«
Aber da erwartete er zu viel. Wolf und Monika hatten in dieser Hinsicht
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