Auf der Spur der Vogeljaeger
Haus voll. Mindestens ein Exemplar von jeder Gattung müssen sie haben. Zufrieden sind sie erst, wenn sie auch eine Rohrdommel, eine Schneeeule, einen Habicht, Falken, Uhu und Auerhahn, ein Schnee- und ein Birkhuhn besitzen. Ausgestopft – natürlich!«
»Verstehe«, nickte Tarzan. »Die Wilddiebe sind sicherlich nur die Handlanger. Sie schießen je nach Auftrag. Wer erteilt den? Tier-Präparatoren – das liegt doch auf der Hand.«
Dr. Reitz hob die Schultern. »Die meisten sind ehrliche, anständige Leute und nehmen nur solche Tiere zum Präparieren an, die weder geschützt noch gewildert sind. Aber schwarze Schafe gibt’s überall.«
So hatte Tarzan sich das gedacht.
»Also kommen gewissenlose Präparatoren in Frage«, sagte er, »die entweder im Auftrag privater Sammler handeln oder die Tierbälge unter der Hand verkaufen, wenn ein entsprechender Kunde zu ihnen kommt. Richtig?«
Dr. Reitz bejahte. »Ihr wollt es aber ganz genau wissen. Habt ihr euch was vorgenommen?«
Tarzan schmunzelte. Seine Freunde bemühten sich um harmlose Mienen. Auch das war eine Antwort.
»Seid aber vorsichtig«, warnte Dr. Reitz. »Diese Trophäenjäger sind rücksichtslos. Was sie tun, ist kriminell. Sie haben keine Ehrfurcht vor dem Leben der Tiere. Vergesst das nicht. Wer so handelt, ist – vielleicht – zu noch schlimmeren Verbrechen fähig.«
»Wir sind auf der Hut«, sagte Tarzan.
Sein Blick wurde abgelenkt. Denn in diesem Moment kam eine alte Oma um die Hausecke.
Sie eilte heran, so rasch ihre füllige Gestalt das zuließ. Das Gesicht war erhitzt, ihr silbriges Haar im Nacken geknotet. Das runde Gesicht verriet so viel Gutmütigkeit, dass man nur wünschen konnte, sie habe viele Enkelkinder; denn auch liebevolle Großmütter werden immer seltener.
Jetzt freilich zeigte ihre Miene tiefen Kummer.
»Ja, Guten Tag, Frau Mühel«, rief Dr. Reitz.
»Tag, Herr Doktor.« Ihre Stimme klang so, dass man sich richtig vorstellen konnte, wie sie ihren Enkeln aus dem Märchenbuch vorlas.
Den Kindern nickte sie zu. Dabei brachte sie sogar ein kleines Lächeln zustande. Dann freilich machte sie ihren Sorgen Luft.
»Herr Doktor, mein Paulinchen ist verschwunden. Seit vier Tagen schon. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Sechs Jahre habe ich sie jetzt. Nie hat sie sich verlaufen. Nie ist sie weggeblieben. Gestern habe ich einen Aufruf in die Zeitung gesetzt. Dass man sie gegen Belohnung bei mir abgeben soll. Aber niemand hat sich gemeldet.«
Tränen traten ihr in die Augen. »Ich hänge doch so an ihr. Sie... sie ist das Einzige, was ich habe.«
»Bitte, beruhigen Sie sich!« Dr. Reitz war aufgestanden und legte ihr die Hand auf den Arm. »Vier Tage erst – da ist noch nichts verloren.«
Oma Mühel schnäuzte sich. Dann blickte sie die Kinder an. »Habt ihr Paulinchen gesehen?«
»Eine Katze?«, fragte Tarzan.
»Eine wunderschöne braunspitzige Siamkatze«, nickte Dr. Reitz. »Eine Kätzin.«
»Tut mir leid.« Tarzan hob die Achseln.
»Ich wollte Sie fragen, Herr Doktor«, Oma Mühel seufzte, »ob es hier in der Gegend gefährliche Raubvögel gibt, die mein Paulinchen vielleicht erbeutet haben?«
Dr. Reitz unterdrückte ein Lächeln. »Ganz bestimmt nicht, liebe Frau Mühel. Das können Sie vergessen.«
Sie seufzte abermals und senkte den Kopf. »Vielleicht wurde sie doch gestohlen«, sagte sie mit matter Stimme. »Vor einer Woche sah ich, wie dieser Bursche am Zaun stand. Er versuchte, Paulinchen anzulocken. Ich ahnte nichts Gutes, weil er so abstoßend wirkte. Deshalb habe ich ihn verscheucht.«
Hellwach fragte Tarzan: »Wie sah er denn aus?«
»Er war etwas größer als du, sehr stämmig, hatte ein grobes Gesicht und leuchtend rotes Haar. Er hat mich beschimpft. Ich sei eine alte Schlampe und die Katze wäre viel zu schade für mich.«
Tarzan antwortete nicht. Er nickte nur und seine Miene blieb ausdruckslos.
Klößchen aber hatte den Mund aufgerissen und wollte mit seiner üblichen Tolpatschigkeit den begründeten Verdacht äußern.
Mit einem warnenden Blick stoppte Tarzan ihn. Warum der alten Frau das Herz schwer machen, solange noch nicht feststand, was mit Paulinchen geschehen war.
Auch Dr. Reitz ließ sich nichts anmerken. Er tröstete Frau Mühel und versprach, sich umzuhören.
Als sie sich verabschiedete, nannte sie den Kindern ihre Adresse.
»Falls ihr auf Paulinchen stoßt«, sagte sie. »Ihr kommt doch sicherlich viel rum. Bitte, haltet die Augen offen.«
5. Oskar findet die Stahlkugel
Als
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