Auf der Spur des Hexers
Marian hatte nur ausgesprochen, was er in jedem Gesicht las, wenn er sich umsah. Sie waren ihm widerspruchslos hierher gefolgt, nachdem er Lyssas Haus verlassen hatte. Aber sie alle wollten wissen, warum. Sie wussten, was sie erwartete, aber sie wollten es aus seinem Munde hören.
»Warum bist du hier?«, fragte Marian noch einmal. »Warum sind wir hier, Quenton?«
Durch das geschlossene Tor drangen Schreie. Ein Gewehr krachte, dann noch eines und noch eines, und irgendjemand begann schrill und hysterisch zu lachen. Irgendwo weiter entfernt war das Gröhlen der Menge zu hören. Es kam näher. Sehr schnell.
»Deshalb«, antwortete Quenton mit einer Kopfbewegung zum Tor. Nicht alle waren ihm gefolgt. Ein paar hatten versucht, sich in ihren Häusern und Kellern zu verbarrikadieren oder ihr Heil in der Flucht zu suchen. »Deshalb, Kind. Weil wir uns hier verteidigen können. Jeder, der durch dieses Tor kommt, wird sterben.«
»Das ist keine Antwort«, sagte Marian. In ihren Augen schimmerten plötzlich Tränen, und als sie weitersprach, schien sie nur noch mit Mühe die Fassung zu bewahren. Sie schrie beinahe. »Du weißt genau, was ich meine, Quenton. Ihr … ihr habt uns Sicherheit versprochen. Sicherheit und Reichtum. Ihr habt gesagt, wir können hier in Ruhe leben und glücklich sein, und jetzt kommen sie, um uns zu töten!«
»Hör auf!«, sagte Quenton leise.
Aber Marian hörte nicht auf; im Gegenteil. Plötzlich ließ sie ihr Gewehr fallen, sprang mit einem halberstickten Schrei auf ihn zu und begann mit den Fäusten auf seine Brust einzuschlagen. »Ihr habt uns Sicherheit versprochen!«, kreischte sie. »Ihr habt gesagt, ihr würdet uns beschützen, wenn sie einmal kämen! Wozu haben wir euch all die Jahre geglaubt? Wo ist die Macht, die ihr angeblich habt?! Wo?«
Quenton packte sie grob bei den Schultern, stieß sie auf Armeslänge von sich und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Das Mädchen taumelte zurück, fiel auf ein Knie herab und presste die Hand gegen die Wange. Quentons Finger malten sich deutlich auf ihrer Haut ab.
»Es ist nicht meine Schuld!«, schrie er wütend. Er spürte, wie die anderen ihn anstarrten, und ihre Blicke kamen ihm vor wie Messer, die tief in seine Brust schnitten. Niemand sprach es aus, aber der Vorwurf war überdeutlich.
»Ich kann nichts dafür«, sagte er noch einmal. »Ich war bei Andara, bevor ich zu euch kam, aber sie wollte nicht kämpfen. Wir vier hätten sie aufhalten können, aber allein bin ich machtlos!«
»Und die Macht?«, flüsterte Marian. »Der Pakt, den wir geschlossen haben? Wozu haben wir euch unsere Seelen verpfändet, wenn wir jetzt doch sterben müssen?«
»Ich kann sie nicht aufhalten«, flüsterte Quenton hilflos. »Nicht wirklich.«
Marian starrte ihn an. In ihren Augen glitzerten Tränen, aber ihr Gesicht war mit einem Male ausdruckslos wie eine bleiche, aus weißem Porzellan gefertigte Totenmaske.
»Dann hatte Roderick recht«, flüsterte sie. »Wir hätten auf ihn hören sollen statt auf dich und diese … diese Hexe.«
Quenton schnaubte. »Roderick?«, fragte er böse. »O ja, Kindchen, er hatte recht. Aber er hatte auch die Möglichkeit, uns alle zu retten. Plötzlich schrie er: »Das alles hier wäre nicht passiert, hätte er uns nicht im Stich gelassen, begreifst du das immer noch nicht? Es ist einzig und allein seine Schuld!«
»Aber er ist nur einer!«, sagte Marian verzweifelt. »Und ihr seid vier!«
»Das sind wir nicht«, murmelte Quenton. »Lyssa, Andara und dieser verfluchte Necron ziehen es vor, zu sterben, statt sich zu wehren. Werft mir nicht vor, wenn sie feige sind!«
»Aber du!«, beharrte Marian. »Du hast die Macht, Quenton! Du bist ein Magier wie sie. Du hast es oft genug bewiesen!«
»Ich kann es nicht«, sagte Quenton bitter. »Ich kann nicht gegen Hunderte kämpfen!«
»Rette uns!«, beharrte Marian. »Du hast es versprochen!«
Ein einzelner Schuss krachte. Aus der Wand neben Quentons Schulter ragten plötzlich verkohlte Holzsplitter, und zwischen Marians Brüsten erschien ein kleines, rundes Loch. Das Mädchen stieß einen fast überraschten, seufzenden Laut aus, starrte Quenton noch eine halbe Sekunde lag aus schreckgeweiteten Augen an und kippte dann ganz langsam nach vorne.
Jemand schrie, und der Mann, der Quentons Platz am Fenster eingenommen hatte, erwiderte das Feuer. Plötzlich krachten überall Schüsse. Männer, Frauen und Kinder schrien durcheinander, als die Angreifer aus Dutzenden von Waffen
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