Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
der Ecke, gekleidet in ihren abgetragenen schwarzen Büstenhalter und die Leopardenbeinkleider. Er hatte schon vor langer Zeit zu zählen aufgehört, wie viele Freudenmädchen an dieser Ecke gestanden waren. Sie verschwanden in einem verschwommenen Fleck aus rotem Lippenstift und dick aufgetragenem Augenbrauenstift. Die meisten von ihnen gaben schnell auf, wenn er sie Nacht für Nacht ignorierte. Mochten sie ruhig glauben, er sei ein harmloser Halbverrückter – das war die beste Verteidigung gegen einen Kontakt. Am besten, man sah nur aus den Augenwinkeln nach ihnen, vermied jeden Blickkontakt und ging weiter. Man lächle schüchtern und drohe nicht. Es hatte immer funktioniert. Es musste funktionieren. Er konnte sich keine neugierigen Seelen leisten. Niemand sollte ihm nahe genug kommen, um ihn von seiner Wache abzulenken.
    »Wieder eine Nacht in der Stadt, wie, Andy?« Sasha hatte es noch immer nicht aufgegeben, Anton aus seiner Reserve zu locken. Selbst nach diesen vielen Monaten war ihr kein Anzeichen anzumerken, dass sie aufgab.
    Anton grummelte etwas, von dem er hoffte, dass es ihr genügen würde. Als er vom Gehsteig hinuntertrat, um vorbeizugehen, musste er ihr unvermeidlich einen Blick aus den Augenwinkeln zuwerfen. Sie hatte einen gewissen Unterschied an sich, aber es war ihm immer schwer gefallen, sich darüber klar zu werden, was es war. Der Schopf ihres schwarzen Haares war über eine Schulter gezwungen worden, ihre Brüste drängten sich himmelwärts, und ihr Gesicht bot den maskenhaften Anblick aller anderen. Und doch leuchtete etwas ganz anderes aus ihren verschmierten Augen. Er blickte immer zu ihr hin, wenn er vorbeiging. Er wusste, dass nichts Gutes daraus erwachsen würde. Das war nicht die richtige Art, seiner Einsamkeit ein Ende zu machen. Das könnte nur der Abschluss seiner Nachtwache tun.
    »Seh dich am Schichtende, Andy«, sagte sie. »Ich hoffe, dir macht dein Job mehr Spaß als mir der meine.«
    Warum ließ sie ihn nicht in Ruhe? Konnte sie ihn nicht einfach übersehen wie die anderen? Sie versuchte einen Kontakt herzustellen. Nacht für Nacht behandelt sie ihn wie einen Menschen – das versetzte ihn in den falschen Seelenzustand.
    Als er in die Fitzroy Street einbog, lenkten ihn die Lampen zeitweise ab, wie immer. Er zögerte und blinzelte rasch, damit die Augen einen Fixpunkt fanden. Wie leicht er den Blick verlor. Wie rasch ihn diese Welt mit ihrer Helligkeit und Bewegung ablenken konnte. Wie schwierig war das Los des Wächters!
    Diese giftige Mischung aus Schmierigkeit und Glanz, zu dem St. Kilda während seiner Zeit hier geworden war, hüllte ihn ein. Die Wärme der Nacht trieb sie alle auf die Gehwege heraus. Die jungen Designerpärchen, die einander über Gläsern von Pinot beeindrucken wollten. Die vielfach gepiercten Homosexuellen, die mit entblößtem Bauch über die Promenade stolzierten und nur lange genug stehen blieben, um sich zu vergewissern, dass man sie gesehen hatte. Der schwülstige Schwätzer, der von Tisch zu Tisch stolperte, während er unzusammenhängendes Zeug über einen eingebildeten Sadisten brabbelte.
    Anton zwang seine Augen, sich zu fokussieren, rieb wieder den Schlüssel und kniff die Augen zusammen, um zu entdecken, wonach er wirklich Ausschau hielt: die dunklen Dinge zwischen dem Licht, die unheilverkündenden Vorzeichen hinter dem Anschein, die Wirklichkeit in alldem.
    Nach so langer Zeit wusste er instinktiv, wohin er sehen musste. Ärger war immer eine potentielle Quelle eines Bruches. Er musterte die Tische und Stühle vor Chichios Kneipe. Seine Augen wurden von einem Pärchen angezogen. Da ist eine Quelle, dachte er. Beide bemühten sich, ruhig und beiläufig zu erscheinen, aber er spürte einen brodelnden Zorn, der von ihnen ausging. Die Frau wickelte ihr Haar um die Finger und starrte in den Wein. Von Zeit nahm sie zum Schein einen schnellen Schluck und starrte ihren Partner über den Tisch an, als sie ein Argument vorbrachte. Eine tiefe rote Strahlung ging jedes Mal, wenn sie ihn aufmachte, von ihrem Mund aus und beschmutzte die Nachtluft. Der Mann saß da und tat so, als beträfe es ihn nicht, er starrte die Vorübergehenden mit versteckter Heftigkeit an. Aus seinem Mund drangen keine Flecken, aber sein Kopf strahlte eine Aura von hellem Rot aus, wie ein Heiligenschein aus Blut.
    Wenn sie nur wüssten, welchen Schaden sie anrichten, dachte Anton. Welche Schwachstellen sie im Gefüge verursachen. Er beobachtete die Räume zwischen den Lampen des

Weitere Kostenlose Bücher