Auf der Straße nach Oodnadatta
schlecht Suaheli, dass er es nicht verstand, als Klein-Ei mir zuraunte: »Er sieht aus wie ein Vampir.«
»Ich spreche englisch«, sagte ich, und er sah erleichtert aus.
Er führte uns zwischen den Zugmaschinen hindurch zu dem Turm in der Mitte, dem höchsten. Er war weiß angestrichen und trug das Wort UNECTA in großen blauen Buchstaben an der Seite und darunter den Namen Nyandarua Station. Wir bestiegen einen kleinen Metallkäfig. Byron schloss die Tür und drückte auf einen Knopf. Der Käfig fuhr senkrecht an der Seite des Turms empor. Eins muss ich sagen, dieser Lastenaufzug war erschreckender als alle Geschichten über mordende Meuten von Geiern. Ich klammerte mich an dem Handlauf fest und schloss die Augen. Ich spürte, wie die ganze Basis unter mir schwankte.
»Mach die Augen auf«, sagte Byron. »Du willst doch wohl nicht die weite Reise bis hierher gemacht haben, um dann das Wesentliche zu verpassen.«
Als wir uns über die Baumwipfel erhoben, öffnete sich die Landschaft vor mir. Nyandarua Station bewegte sich an den östlichen Hängen des Aberdare-Gebirges abwärts: das Chaga breitete sich vor mir aus wie eine auf einem Bett ausgelegt Hochzeits-Kanga.
Es war, als ob jemand eine Reihe von Kreisen aus farbigem Papier ausgeschnitten und sie an der Seite des Gebirges abgeworfen hätte. Das Chaga folgte den Höhen und Tälern, aber mehr hatte es mit unserer Geografie nicht gemein. Es war ganz und gar etwas anderes. Die Farben waren unwahrscheinlich leuchtend, und ich dumme Gans hätte beinahe gelacht: Purpur- und Orangetöne, viele rosafarbene und tiefrote Schattierungen. Adern von strahlendem Gelb. Wirkliche Dinge, lebende Dinge hatten keine solchen Farben. Das hier war eine hollywoodartige Täuschung, mittels Computer für einen Film hergestellt. Meiner Schätzung nach befanden wir uns einen Kilometer vom Rand entfernt. Es war kein sehr großes Chaga, nicht wie das Kilimandscharo-Chaga, das Moshi und Arusha und all die großen tansanischen Städte am Fuß des Berges verschluckt hatte und sich jetzt auf halbem Weg nach Nairobi befand. Byron sagte, dieses Chaga habe einen Durchmesser von etwa fünf Kilometern und zeige allmählich die klassische Form, nämlich eine Reihe von Kreisen. Ich versuchte, die Einzelheiten in mich aufzunehmen. Ich dachte, Einzelheiten würden es für mich wirklich machen. Ich sah ein Wirrwarr von riffähnlichen Gebilden in der Farbe von Draht. Ich sah eine Mauer aus dunkelroten Bäumen, die senkrecht zu einer unglaublichen Höhe aufragte. Die Stämme standen gerade und glatt wie Speere da. Die Blätter vereinigten sich zu Schirmen. Jenseits davon sah ich so etwas wie Eisberge, die in einem bestimmten Winkel geneigt waren, etwas wie geöffnete Hände, die zum Himmel beteten, etwas wie Ölraffinerien, aus Pilzen bestehend, etwas wie Gehirne und Fächer und Kuppeln und Fußbälle. Etwas wie alle möglichen anderen Dinge. Nichts, das wie ein Ding an sich erschien. All das streckte sich zu mir aus. Aber mir war klar, dass es mich niemals erwischen würde. Nicht solange ich hier blieb, auf dieser Konstruktion, die ständig davor zurückwich, zum Fuße der Aberdare-Berge, fünfzig Meter täglich.
Wir waren der Spitze des Gebäudes nahe. Der Käfig schwankte im Wind. Mir war schlecht, und ich hatte Angst und umklammerte den Handlauf und in diesem Augenblick geschah es, dass das Ganze für mich Wirklichkeit wurde. Der Geruch des Chaga wurde mir vom Wind zugetragen. Unechte Dinge riechen nicht. Das Chaga roch nach Zimt und Schweiß und frisch umgegrabener Erde. Es roch nach faulendem Obst und Diesel und Beton nach dem Regen. Es roch wie meine Mutter, wenn sie ›Besuch‹ hatte. Es roch wie die Milch, die Babies aus ihren kleinen Mündern spuckten. Es roch wie Fernsehen und das Zeug, das der Friseur Unter Dem Baum meinem Vater ins Haar schmierte und wie der Heilige Ort der Frauen im Shamba. All das brachte die Erinnerung an Gichichi und an meine Leute und mein Leben mit sich. Der Geruch wühlte die Dinge auf, die ich vor kurzem als Frau erfahren hatte. Dort wurde das Chaga für mich Wirklichkeit, und ich begriff, dass es meine Welt verschlingen würde.
Während ich so dastand und all diese Dinge, die gewesen waren und die sein würden, in meinem Kopf in Kreise innerhalb von Kreisen ordnete, eilte ein Weißer in verwaschenen Jeans und Timberland-Stiefeln aus einer Gleittür des Aufzugs.
»Byron«, sagte er und bemerkte dann, dass zwei kleine kenianische Mädchen bei ihm waren. »Wer
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