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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Krankheit der Kontinente es sich hier handelte. Es waren Chagas. Zum ersten Mal begriff ich, dass es nicht um eine kenianische, nicht einmal um eine ausschließlich afrikanische Angelegenheit ging, sondern um etwas, das die ganze Welt betraf.
    »Alle sind im Süden«, bemerkte ich. »Nicht eins ist im Norden.«
    »Keiner der biologischen Packen hat seine Saat in der nördlichen Hemisphäre ausgestreut. Das bestärkt uns in der Ansicht, dass dem Chaga Grenzen gesetzt sind. Dass es nicht unsere ganze Welt bedecken wird, von Pol zu Pol, sondern dass es sich möglicherweise auf die südliche Hemisphäre beschränken wird.«
    »Warum glauben Sie das?«
    »Es gibt keine vernünftige Begründung dafür.«
    »Sie hoffen also nur.«
    »Ja. Wir hoffen.«
    »Mr. Shephard«, sagte ich. »Warum sollte das Chaga uns hier im Süden das Land wegnehmen und die reichen Leuten oben im Norden verschonen? Das finde ich ungerecht.«
    »Das Universum ist niemals gerecht, mein Kind. Was du wahrscheinlich besser weißt als ich.«
    Wir begaben uns hinunter in die Stellare Kartografie, einen weiteren dunklen Raum mit Wänden voller Sternen. Sie bildeten einen Gürtel um die Mitte des Raums herum, so dicht aneinander gereiht, dass die einzelnen Sterne sich zu durchgehenden weißen Flächen überstrahlten.
    »Das ist der Silberfluss«, sagte ich. Ich hatte ihn bei Graces Familie im Fernsehen gesehen; das Gerät hatten sie übrigens bei der Flucht mitgenommen.
    »Silberfluss. Stimmt. Ein guter Name.«
    »Wo sind wir?«, fragte ich.
    Shepard ging zu der Wand neben der Tür und berührte einen kleinen Stern auf der Höhe seiner Taille. Er war rot eingekreist. Sonst, so glaube ich, hätte selbst er ihn nicht unter all den vielen kleinen weißen Sternen herausfinden können. Mir gefiel es nicht, dass unsere Sonne so klein und gewöhnlich war. Ich fragte: »Und wo kommen sie her?«
    Der UNECTA-Mann zog mit dem Finger eine Linie an der Wand entlang. Er schritt eine Seite des Raums ab und die Hälfte der anderen, bevor er stehen blieb. Sein Finger verharrte in einem Wirbel von Regenbogenfarben, einer Flamme ähnlich.
    »Rho Ophiuchi. Nur ein Name, der nicht von Bedeutung ist. Wichtig ist nur, dass das weit, weit weg von uns ist … so weit, dass das Licht – und das bewegt sich mit der höchsten Geschwindigkeit, die irgendetwas erreichen kann – achthundert Jahre braucht, um dort anzukommen, und es ist kein Planet, nicht einmal ein Stern. Wir nennen es einen Nebel, eine riesige Wolke aus glühendem Gas.«
    »Wie können Leute in einer Wolke leben?«, fragte ich. »Sind das Engel?«
    Der Mann lachte über diese Frage.
    »Keine Leute«, sagte er. »Und auch keine Engel. Sondern Maschinen. Aber nicht solche Maschinen, wie du und ich uns Maschinen vorstellen. Maschinen, die eher lebendigen Wesen gleichen und die sehr, sehr viel kleiner sind. Sogar noch kleiner als die kleinste Zelle in deinem Körper. Maschinen von der Größe von Atomketten, die andere Atome bewegen und auf diese Weise Kopien von sich selbst herstellen können, oder Kopien von irgendetwas anderem, was sie wollen. Und wir glauben, diese Gaswolken setzen sich zusammen aus Trillionen und Abertrillionen solcher winziger lebenden Maschinen.«
    »Weder Pflanzen noch Tiere?«, fragte ich.
    »Weder Pflanzen noch Tiere, richtig.«
    »Diese Theorie habe ich noch nie gehört.« Sie war gewaltig und erregend, aber wie die Sonne schmerzte sie, wenn man sie aus allzu geringer Entfernung anschaute. Ich betrachtete erneut den Farbenwirbel, in den Farben wie die Chaga-Narben auf der Erdoberfläche, und dann wieder den kleinen Fleck neben der Tür, der mein Licht und meine Wärme war. Verglichen mit dem Rest des Raumes wirkten sie beide sehr klein. »Warum sollten solche Dinge von so weit her ausgerechnet in mein Kenia kommen?«
    »Das ist allerdings die Frage.«
    Das war alles aus dem wissenschaftlichen Bereich, was dem UNECTA-Mann erlaubt war uns zu zeigen, also führte er uns durch den Teil, wo die Leute wohnten und aßen und schliefen, wo sie fernsahen und sich Filme anschauten und Alkohol und Kaffee tranken, die Einrichtungen, wo sie sich sportlich betätigten, was sie gerne taten, und zwar häufig in schamloser Bekleidung. Die Gänge waren voll von ihnen, unreif und locker zusammengewürfelt, wie staksenbeinige junge Hunde.
    »Dieser Ort stinkt nach Wazungu«, sagte Klein-Ei, ohne zu berücksichtigen, dass dieser M’zungu vielleicht besser Suaheli verstand als der andere. Mr. Shepard

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