Auf der Straße nach Oodnadatta
sind denn die beiden?«
»Ich bin Tendeléo und das ist meine Schwester«, sagte ich. »Wir nennen sie Klein-Ei. Wir sind gekommen, um das Chaga zu besichtigen.«
Diese Antwort schien ihm zu gefallen.
»Ich heiße Shepard.« Er schüttelte uns die Hand. Er war ebenfalls Amerikaner. »Ich bin Reisender Geschäftsführer. Das heißt, ich rase um die Welt und suche Lösungen in Bezug auf das Chaga.«
»Und haben Sie welche gefunden?«
Für einen kurzen Augenblick wirkte er wie vor den Kopf geschlagen, und ich kam mir frech und vorwitzig vor. Dann sagte er: »Kommt, wir wollen mal sehen.«
»Shepard«, sagte Byron, der Vampir. »Das hat Zeit.«
Er brachte uns in die Basis. In einem Raum waren mehr Weiße, als ich in meinem ganzen Leben jemals gesehen hatte. Auf jedem Schreibtisch stand ein Computer, aber die Leute – die meisten davon waren schlecht gekleidete Männer in Shorts und mit Bärten – benutzten sie nicht. Sie zogen es vor, auf den Schreibtischen zu sitzen und sehr schnell mit heftigen Gebärden zu reden.
»Ist Afrikanern der Zutritt hier nicht erlaubt?«, fragte ich.
Der Mann namens Shepard lachte. Alles, was ich während dieser Führung von mir gab, nahm er so auf, als würde es von den Lippen eines weisen alten M’zee kommen. Er führte uns in den Projektionsraum hinunter, wo Computer riesige Pläne auf runde Tische zeichneten: das Chaga im jetzigen Zustand, das Chaga in fünf Jahren und das Chaga, wenn es auf seinen Bruder aus dem Süden stoßen würde und die beiden Nairobi verschlucken würden, wie zwei alte Männer, die sich um ein Stück Zuckerrohr stritten.
»Und wenn Nairobi weg ist?«, fragte ich. Die Karten zeigten die Namen aller alten Städte und Dörfer unter dem Chaga. Natürlich. Die Namen änderten sich nicht. Ich streckte die Hand aus und berührte den Ort, zu dem Gichichi einmal werden würde.
»So weit reicht unsere Projektion nicht«, sagte er. Aber ich dachte an eine ganze Stadt, die unter den leuchtenden Farben des Chaga wie Dreck, der in einen Teppich getreten wurde, verschwunden wäre. All dieses Leben und die Geschichten und diese Vergangenheit. Mir wurde mit einem Mal klar, dass manche Namen sehr wohl verloren gehen konnten, die Namen von großen Dingen wie Städten, Nationen und geschichtlichen Begebenheiten.
Als Nächstes stiegen wir mehrere Fluchten von steilen Stahlstufen hinauf in die ›Labor-Etage‹. Hier waren Proben, die dem Chaga entnommen worden waren, in versiegelten Behältnissen mit bestimmten Umweltbedingungen aufbewahrt. Ein Reagenzglas mochte vielleicht ein Bündel empfindlicher Pilze enthalten, ein zylindrisches Glas eine Hand voll blauer schwammartiger Finger, ein Tank einen Quadratmeter Chaga, das die Wände und die Decke überwucherte. Einige der Behältnisse waren so groß, dass Menschen darin herumlaufen konnten. Diese waren mit bauschigen weißen Anzügen bekleidet, die jeden Teil von ihnen bedeckten und mittels Röhren und Schläuchen mit der Wand verbunden waren, sodass es schwer war zu erkennen, wo sie aufhörten und das fremdweltliche Chaga begann. Die seltsamen gestreiften und gemusterten Blätter sahen natürlicher aus als die UNECTA-Leute in ihren weißen Anzügen. Die fremdartigen wachsenden Dinge waren zumindest in ihrer richtigen Umwelt.
»Alles muss isoliert werden«, erklärte Mr. Shepard.
»Weil es sonst sogar hier draußen wachsen und angreifen würde?«, fragte ich.
»Du hast es erfasst.«
»Aber ich habe gehört, es tut Menschen oder Tieren nichts«, sagte ich.
»Wo hast du das gehört?«, fragte der Mann namens Shepard.
»Mein Vater hat es mir gesagt«, antwortete ich artig.
Wir gingen weiter zu der Abteilung Terrestrische Kartografie, wobei es sich um Videobilder in der Größe einer Wand handelte, die die Ansicht der Welt, von Satelliten aus gesehen, zeigten. Dieser Anblick ist für jeden meines Alters vertraut, obwohl es Leute aus der Generation meiner Eltern gab, die lachten, wenn sie hörten, die Erde sei eine Kugel ohne Halteleinen. Ich schaute sie mir lange an – es ist das Einzige, dessen Magie beim Anschauen nicht verblasst –, bevor ich bemerkte, dass das Antlitz der Erde zerknittert war wie das Gesicht einer alten Giriama-Frau. Unter den Wolken waren Südamerika und Südostasien und Mutter Afrika gefleckt von helleren Farben als das braun-grüne Land. Manche waren groß, manche waren nur Pünktchen, alle waren ebenmäßige Kreise. Einer dieser Flecken auf der Ostseite von Afrika verriet mir, um welche
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