Auf der Straße nach Oodnadatta
»Wir können euch in Njeru rauslassen. Von dort aus könnt ihr zu Fuß gehen, es sind dann keine sieben Kilometer mehr.«
Njeru war das, was Gichichi erwartete, wenn nur noch die Schwachen und Armen und Geistesgestörten blieben. Ich war froh, von dort wegzukommen. Die Straße zum Chaga war leicht zu finden, es war die Richtung, in die niemand anderes ging. Wir machten uns auf der unbefestigten roten Lehmpiste auf den Weg. Wir müssen sehr seltsam ausgesehen haben, zwei Mädchen, die mit Lunchpaketen, in ihre Kangas eingepackt, durch die zerstörte Landschaft wanderten. Wenn jemand dagewesen wäre, um uns zu beobachten.
Die Soldaten schnappten uns etwa zwei Kilometer von Njeru entfernt. Ich hatte den Motor ihres Fahrzeugs schon seit ein paar Minuten hinter uns gehört. Es war ein großer achträdriger Truppentransporter der südafrikanischen Armee.
Der Offizier war wütend, aber gleichzeitig auch ein wenig beeindruckt, wie mir schien. Was wir uns eigentlich einbildeten? Überall gab es Aasgeier. Erst letzte Woche war ein ganzer Bus einem Massaker zum Opfer gefallen, keine fünf Kilometer von hier entfernt. Niemand war mit dem Leben davongekommen. Zwei Mädchen ganz allein – man würde uns ausrauben und vergewaltigen, uns an den Füßen aufhängen und unsere Kehlen wie bei Schweinen durchschneiden. Während der ganzen Zeit seiner Predigt schwenkte ein Soldat im Gefechtsturm ein schweres Maschinengewehr von einer Seite der Landschaft zur anderen.
»Also, was, zum Teufel, macht ihr hier?«
Ich sagte es ihm. Er ging zu seinem Funksprechgerät. Als er zurückkam, sagte er: »Hinten rein!«
Der Transporter war schrecklich stickig und roch nach Männern und Gewehren und Diesel. Als die Tür hinter uns zuknallte, glaubte ich, wir müssten ersticken.
»Wohin bringt ihr uns?«, fragte ich voller Angst.
»Ihr wollt doch das Chaga sehen«, antwortete der Befehlshabende. Wir verzehrten unser Mittagessen und versuchten, die Soldaten nicht anzusehen. Sie gaben uns Wasser aus ihren Feldflaschen und versuchten, uns zum Lachen zu bringen. Die Fahrt war kurz, aber unangenehm. Die Tür flog mit Schwung auf. Der Offizier half mir beim Aussteigen, und ich wäre vor Entsetzen beinahe umgekippt.
Ich stand auf einer Lichtung auf einem kleinen Hügel. Um mich herum waren Baumstümpfe, frisch geschnitten, klebrig von Baumsaft. Hinter uns war das Kreischen von Kreissägen. Die Lichtung war voll von Militärfahrzeugen und Zelten. Überall wuselten Menschen herum. Die meisten davon waren Weiße. Im Zentrum all dieser Betriebsamkeit war etwas, das ich nur als Stadt auf Rädern bezeichnen kann. Ich war noch nie in Nairobi gewesen, aber ich kannte es von Fotos: ein Wald von schönen Türmen, die aus einem Kreis von Townships aufragten. Und genau so wirkte die Basis beim ersten Anblick auf mich. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass die Gebäude transportable Kabinen waren, aufgestapelt auf großen Kettenfahrzeugen, ähnlich den schweren Raupentiefladern, mit denen oben in Eldoret Holz transportiert wurde. Die Zugmaschinen und Türme waren mittels Stegen und Kabelschlaufen miteinander verbunden. Ich sah Leute, die auf den hohen Stegen hin und her huschten. Das hätte ich nie vermocht, nicht für eine Million Schillinge.
Ich gebe meinen ersten Eindruck wieder, von einer schönen weißen Stadt – und vielleicht lachen Sie, weil Sie wissen, dass es sich lediglich um eine mobile Basis der UNECTA handelt –, die man so schnell und billig wie möglich errichtet hatte. Aber hier gilt die Wahrheit: Schauen ist Magie. Anschauen tötet. Je mehr ich die Dinge anschaute, desto mehr verblasste die Magie.
Die Luft über der Lichtung roch genauso übel nach Dieselabgasen wie es in dem Truppentransporter der Fall gewesen war. Überall dröhnten Motoren. Ein Weg war durch den Wald geschlagen worden, und es sah so aus, als ob die Basis auf ihm hierher gekommen wäre. Ich betrachtete die Spuren. Die großen Zahnräder drehten sich. Die Basis bewegte sich, langsam und schwerfällig, wie die Zeiger einer großen Uhr, auf ihren Gliederketten rückwärts knarrend, im Gleichschritt mit dem Vordringen des Chaga. Klein-Ei griff nach meiner Hand. Ich glaube, mir klaffte der Mund eine Zeit lang vor Staunen auf.
»Kommt, los!«, drängte der Offizier. Er lächelte jetzt. »Ihr wollt doch das Chaga sehen.«
Er gab uns in die Obhut eines großen Amerikaners mit roten Haaren, einem roten Bart und blauen Augen weiter. Sein Name war Byron, und er sprach so
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