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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Innern zu dem borstenhaarigen Mann in der Botschaft.
    Auf diese Weise wurde ich zu dem, was man ›Läufer‹ nannte. Ich wurde zu einem Glied in einer Kette, die von sagenhaften Städten unter den Wolken des Kilimandscharo durch das Terminum, vorbei an den Grenztruppen der UN zu einem Club im ersten Stock eines Hauses in Nairobi und von dort in meinen Körper bis zur US-Botschaft reichte. Nein, das habe ich nicht richtig beschrieben. Ich war ein Glied in einer Kette, deren Anfang achthundert Jahre zurück lag, gerechnet nach der Lichtgeschwindigkeit, in einer Gaswolke mit dem Namen Rho Ophiuchi, die von der US-Botschaft zur US-Regierung reichte und weiter zu einem Mann, dessen Gesicht auf der Rückseite einer meiner Sicherheits-Leitkarten und von ihm weiter in eine Zukunft, die niemand erahnte.
    »Sie fürchten sich davor, deswegen wollen sie es unbedingt haben«, erklärte mir Bruder Staub. »Amerikaner fühlen sich immer zu den Dingen hingezogen, vor denen sie sich fürchten. Sie glauben, diese Fullerene werden ihrer Industrie den letzten Biss geben, werden ihre Wirtschaft unzerstörbar machen. Die Wahrheit ist, dass sie ihre Industrie zerstören, ihre Wirtschaft ruinieren werden. Mit diesem Zeug kann jeder herstellen, was er will. Der freie Markt ist dem nicht gewachsen.«
    Ich blieb nicht lange Läufer. Bruder Staub gefiel meine Weigerung, beeindruckt zu sein von dem, was mich nach Ansicht der Welt beeindrucken sollte. Ich wurde seine persönliche Assistentin. Ich machte Termine für irgendwelche Treffen, führte Protokoll, machte Niederschriften. Ich begleitete ihn, wenn er sogenannten Brüdern, anderen Sheriffs, Besuche abstattete. Das Chaga kam immer näher; die Taktiker waren auf den Straßen; alte Feinde wurden jetzt als Verbündete gebraucht.
    An einem solchen Tag gab Bruder Staub mir ein Geschenk, eingepackt in ein Stück Seide. Ich wickelte es aus; es war ein Gewehr. Meine erste Reaktion war Angst; dass ein sechzehnjähriges Mädchen die Gabe von Leben oder Tod in Händen halten sollte. Würde ich es jemals an lebendem Fleisch anwenden, würde ich das können? Dann kroch ein Gefühl der Macht durch mich hindurch. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich so etwas wie Autorität.
    »Liebe es nicht zu sehr«, warnte mich Bruder Staub. »Gewehre geben dir keine Sicherheit. Nirgends in der Welt gibt es Sicherheit, nicht für dich, für niemanden.«
    Es kam mir wie eine Sünde vor, wie ein Brandmal auf meinem Körper, als ich es direkt an der nackten Haut zurück in die Jogoo Road trug. Es war unmöglich, es in unseren beiden Räumen aufzubewahren, aber Simeon, der in der Schlosserwerkstatt arbeitete, hatte seit einiger Zeit meine Geldrolle in geheimem Gewahrsam und war froh, das Gewehr hinter einem losen Stein verstecken zu dürfen. Er wollte es handhaben. Ich erlaubte es nicht, obwohl ich glaube, dass er es trotzdem tat, wenn ich nicht da war. Jeden Morgen holte ich es aus dem Versteck, sowie etwas Bargeld für ein Mittagessen und kleinere Bestechungen, und ging zur Arbeit.
    Mit einer Waffe und Geld in der Tasche erschien mir Bruder Staubs Warnung altmodisch und überängstlich. Ich war jung und schnell und klug. Ich konnte die Welt so sicher oder gefährlich machen, wie es mir beliebte. Zwei Tage nach meinem siebzehnten Geburtstag ereilte mich die Wahrheit dessen, was er gesagt hatte.
    Es war spät, es war dunkel, und ich stieg vor Church Army aus dem Matatu. Es war ein Zeichen dafür, wie weit es mit meiner Mutter und meinem Vater gekommen war, dass sie mich nicht mehr fragten, wo ich bis zu so später Stunde gewesen war und woher das Geld andauernd kam. Ich spürte sofort, dass etwas nicht stimmte; ein Sinn, der sich entwickelt, wenn man auf der Straße arbeitet. Leute wuselten auf dem Gelände herum in dem Bedürfnis, etwas zu tun, jedoch nicht wissend, was sie tun könnten. Irgendwo schrien Frauenstimmen. Ich fand Simeon.
    »Was läuft hier ab? Wo ist meine Mutter?«
    »Die Shambas. Sie sind in die Shambas eingebrochen.«
    Ich bahnte mir unsanft einen Weg durch den törichten Haufen von Christen. Es war Erntezeit, der Mais stand so hoch, dass er meinen Kopf überragte, das Zuckerrohr war dunkel und raschelte im Wind. Ich wich schnellstens von den Shamba-Wegen ab. Der Mond leuchtete gespenstisch hinter Wolken, der Luftschimmer der Stadt umgab mich, warf jedoch kein Licht. Die Stimmen leiteten mich, bis ich Lichter zwischen den Halmen hindurch leuchten sah: Taschenlampen und gelbe Kerosinfackeln. Die

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