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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Stimmen waren jetzt laut, nah. Da waren Männer, laute Männer. Laute Männer jagen mir stets Angst ein. Ohne mich um die Ernte zu scheren, brach ich durch den Mais und fällte dabei pralle, reife Köpfe.
    Die Frauen der Church Army standen am Rand der zertretenen Ernte. Mais, Kartoffeln, Zuckerrohr und Bohnen waren niedergetrampelt, herausgerissen, zerbrochen worden. Ihnen gegenüber stand eine Meute von Leuten aus den Elendsvierteln. Die Männer hatten Taschenlampen und Schneidwerkzeuge dabei. Die Kangas der Frauen wölbten sich über gestohlenen Nahrungsmitteln. Die Körbe und Säcke der Kinder waren gefüllt mit Bohnenhülsen und Maiskolben. Sie sahen uns frech ins Gesicht. Jenseits des flach liegenden Drahtzauns wartete eine noch größere Menge vor dem Markt; die Hyänen, die, falls der Mob gewann, sich diesem anschließen würden, und falls er verlor, zurück in ihre Häuser schleichen würden. Sie waren den Frauen im Verhältnis zwanzig zu eins überlegen. Aber ich war kühn. Ich war mit der Autorität eines Gewehrs versehen.
    »Verschwindet von hier!«, schrie ich sie an. »Dies ist nicht euer Land.«
    »Das eure ist es auch nicht«, entgegnete der Anführer, ein Mann so dünn wie ein Skelett, barfuß, bekleidet mit abgeschnittenen Jeans und einem Fetzen von einem T-Shirt mit dem Werbeaufdruck einer Düngemittelfirma. Er hielt eine aus einer Blechbüchse hergestellte Öllampe in der linken Hand und in der rechten eine Machete. »Es ist alles vom Chaga geborgt. Es wird es sich nehmen und keinem von uns wird es gehören. Wir wollen haben, so viel wir wegschaffen können, bevor es für uns alle verloren ist.«
    »Wendet euch an die Vereinten Nationen«, rief ich.
    Der Anführer schüttelte den Kopf. Die Männer näherten sich. Die Frauen murmelten und griffen entschlossen nach ihren Hacken und Schaufeln.
    »Die Vereinten Nationen? Habt ihr es denn nicht gehört? Die Hilfeleistungen werden verringert. Wir sollen der Gnade des Chaga ausgeliefert werden.«
    »Das hier ist unsere Nahrung. Wir haben sie angebaut, wir brauchen sie. Verschwindet von unserem Land!«
    »Wer bist du denn?«, höhnte der Anführer lachend. Die Männer hoben ihre Buschmesser und kamen noch näher. Das Lachen entzündete das Finstere in meinem Innern, das Bruder Staub erkannt hatte und das mich zu einem Krieger machte. Übermütig vor Zorn und dem Gefühl der Macht, zog ich mein Gewehr heraus. Ich hielt es über den Kopf. Ein, zwei, drei Schüsse krachten in die Nacht. Die Stille danach war erschreckender als die Schüsse selbst.
    »Aha. Das Kind hat eine Waffe«, stellte der Hungrige fest.
    »Und das Kind kann damit umgehen. Du wirst als Erster dran glauben müssen.«
    »Vielleicht«, sagte der Anführer. »Aber du hast drei Kugeln. Wir haben dreihundert Hände.«
    Meine Mutter zog mich zur Seite, als die Elendigen vorrückten. Das gelbe Licht spiegelte sich auf ihren Buschmessern, während sie sich einen Weg durch unseren Mais und unser Zuckerrohr schnitten. Nach ihnen kamen die Frauen und Kinder, klaubend, siebend, einsammelnd. Die dreihundert Hände rupften unser Feld wie Heuschrecken. Das Gewehr zog meinen Arm nach unten wie ein Eisengewicht. Ich erinnere mich, dass ich vor Wut, Enttäuschung und Scham weinte. Sie waren zu viele. Meine Macht, meine Entschlossenheit, meine Waffen – all das war nichts. Falsche Tapferkeit. Angeberei. Show.
    Gegen Morgen war das Feld ein zertrampeltes Durcheinander von Stängeln und zerfetzten Blättern. Kein essenswertes Korn war übrig geblieben.
    Am Morgen wartete ich an der Jogoo Road, den Daumen ausgestreckt, um ein Matatu anzuhalten; meinen gesamten Besitz trug ich in einer Sporttasche auf dem Rücken. Wieder mal auf der Flucht. Der Kampf war kurz und wortlos gewesen.
    »Was ist das da?« Meine Mutter hatte es nicht fertiggebracht, das Gewehr zu berühren. Es lag auf dem Bett und sie deutete darauf. Mein Vater konnte es nicht einmal ansehen. Er saß zusammengesunken in einem tiefen alten Sessel und starrte seine Knie an. »Woher hast du so was?«
    Das Finstere in mir war immer noch stark. Es hatte gegen den Mob versagt, aber für meine Eltern war es mehr als ausreichend.
    »Von einem Sheriff«, sagte ich. »Wisst ihr, was ein Sheriff ist? Er ist ein großer Mann. Für ihn stecke ich mir Chaga-Sporen in den Schlitz. Ich gebe sie Amerikanern, Europäern, Chinesen, jedem, der bereit ist, dafür zu zahlen.«
    »Sprich nicht so mit uns!«
    »Warum sollte ich nicht? Was habt ihr denn getan, außer hier

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