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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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herumzusitzen und zu warten, dass irgendetwas geschieht? Ich sage euch, was als Einziges geschehen wird: Das Chaga wird kommen und alles zerstören. Zumindest habe ich etwas Verantwortung für diese Familie übernommen, zumindest habe ich verhindert, dass wir in der Gosse gelandet sind. Zumindest brauchten wir nicht anderen Leuten das Essen zu stehlen!«
    »Schmutziges Geld! Dreckiges Geld, sündiges Geld!«
    »Ihr habt das Geld sehr bereitwillig angenommen.«
    »Wenn wir gewusst hätten …«
    »Habt ihr jemals gefragt?«
    »Du hättest es uns sagen sollen.«
    »Ihr hattet Angst davor, es zu erfahren.«
    Meine Mutter wusste darauf nichts zu sagen. Sie deutete wieder auf das Gewehr, als ob es der Beweis für alles Böse und Schlechte wäre.
    »Hast du es jemals benutzt?«
    »Nein«, sagte ich und forderte sie heraus, mich eine Lügnerin zu nennen.
    »Hättest du es heute Abend benutzt?«
    »Ja«, sagte ich, »das hätte ich, wenn ich der Meinung gewesen wäre, es hätte etwas bewirkt.«
    »Was ist nur mit dir geschehen?«, jammerte meine Mutter. »Was habe ich nur getan?«
    »Du hast gar nichts getan«, antwortete ich. »Das ist dein Fehler. Du hast aufgegeben. Du sitzt einfach nur hier herum, genau wie er.« Mein Vater hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt. »Ihr sitzt hier herum und tut nichts. Gott wird euch nicht helfen. Wenn Gott dazu in der Lage wäre, warum hätte er dann das Chaga geschickt? Gott hat euch zu Bettlern gemacht.«
    Jetzt erhob sich mein Vater aus seinem tiefen Sessel.
    »Verlasse dieses Haus«, sagte er mit sehr ruhiger Stimme. Ich starrte ihn an. »Pack deine Sachen und verschwinde. Sofort. Du gehörst nicht mehr zu dieser Familie. Du wirst nie wieder hierher zurückkehren.«
    Also war ich davonmarschiert, meine Habseligkeiten in meiner Tasche, mein Gewehr in der Hose und die Geldrolle am Körper, und ich spürte Augen aus jedem Raum und jeder Hütte und jedem Elendsschuppen auf mir und ich machte die Erfahrung, dass auch Christen Slum-Augen haben konnten. Bruder Staub stellte mir einen Raum hinter dem Club zur Verfügung. Ich nehme an, er hoffte auf eine Gelegenheit, mich zu ficken. Das Zimmer roch schlecht und war nachts laut, und oft musste ich hinausgehen, damit die Prostituierten ihrem Geschäft nachgehen konnten, aber es war mein Reich, und ich hielt mich für frei und glücklich. Aber seine Worte lasteten wie ein Fluch auf mir. Wie Evil Eye fand ich keinen Frieden. Ihr tut nichts, hatte ich meinen Eltern vorgeworfen. Aber was hatte ich denn getan? Welchen Plan hatte ich mir für den Zeitpunkt zurecht gelegt, an dem das Chaga käme? Während die Monate vergingen und das Terminum heute in Muranga war, morgen an den Ghania-Fällen und übermorgen in Thika, klagte mich Bruder Staubs Fluch an. Ich sah zu, wie die Regierung in Lastwagen und Personenwagen aus Mombasa auszog, ein Konvoi so lang, dass es eineinhalb Stunden dauerte, bis er an dem Café in der Haile Selassie Avenue vorbei war, wo ich mir meinen morgendlichen Läufer-Kaffee genehmigte. Ich sah die Schwärme von Picknis durch die Straßen rasen, Schmauchspuren wie Feuerwerkskracher hinterlassend, bis die großen Truppentransporter der UN sie wie Bettler vor sich her scheuchten. Ich verkroch mich in Straßengräben vor den schrecklichen Schusswechseln um entführte Tanklaster. Ich stieg hinauf auf die Beobachtungswarte auf dem Moi Telecom Turm und sah den Rauch von Kämpfen draußen in den Vororten und in noch weiterer Ferne, am Rand des Hitzedunstes, im Süden und im Norden, hinter dem Grauschwarz und dem Staub der Flüchtlingslager, die gemusterten Farben des Chaga. Ich las in den Zeitungen die Ankündigung, dass sich am 18. Juli 2013 die Mauern des Chaga treffen würden und Nairobi aufhören würde zu existieren. Wo ist man sicher?, sprach Bruder Staub in meinem Kopf. Was willst du machen?
     
    Ein Mensch stirbt, und es ist leicht zu sagen, wann das Sterben zu Ende ist. Der Atem verlässt den Körper zum letzten Mal. Das Herz bleibt stehen. Das Blut erkaltet und erstarrt. Der letzte Gedanke schwindet aus dem Gehirn. Es ist nicht so leicht zu sagen, wann das Sterben beginnt. Ist zum Beispiel dann der Zeitpunkt gekommen, wenn der Körper in die letzte Phase des Verfalls eingeht? Wenn die ersten Zellen schwarz und krebsbefallen sind? Wenn wir unsere DNA an eine neue Menschengeneration weitergeben und genetisch überflüssig werden? Bei unserer Geburt? Ein Beamter hat mir einmal erzählt, dass sie bereits beim Ausstellen der

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