Auf der Straße nach Oodnadatta
Geburtsurkunde gleichzeitig die Sterbeurkunde vorbereiten.
Das Gleiche traf für den großen Tod von Nairobi zu. Die Welt sah das Ende des Endes über Spionagesatelliten und Kameradrohnen. Wann das Ende für eine Stadt anfängt, ist weniger eindeutig. Einige behaupteten, das sei zu dem Zeitpunkt gewesen, als die Vereinten Nationen sich davonmachten und Nairobi zur offenen Stadt erklärten. Andere waren der Ansicht, es wäre gewesen, als die Energieversorgungsanlagen in Embakasi zusammenbrachen und der Treibstoffnachschub sowie die Telefonverbindungen zur Küste abgeschnitten wurden. Einige führten die Spur zurück auf das Erscheinen des ersten Brutturms über den Straßen von Westlands; wieder andere auf die Bilder in den Fernsehnachrichten von dem sechseckigen Muster aus Chaga-Moos, das langsam ein Schild mit der Aufschrift ›Willkommen in Nairobi‹ unkenntlich machte. Für mich war es, als ich mich von Bruder Staub im Hinterzimmer seines Clubs im ersten Stock vögeln ließ.
Ich sagte ihm, dass ich noch Jungfrau sei.
»Ich habe dich immer für ein Christenkind gehalten«, sagte er, und obwohl ihn meine Jungfernschaft erregte, versuchte er nicht, sie mir mit Gewalt oder Verächtlichkeit zu nehmen. Ich stellte mich ungeschickt an und war trocken und wusste nicht, was ich tun sollte, und tat so, als ob ich mehr Spaß daran hätte, als es in Wirklichkeit der Fall war. Die Wahrheit war, dass ich nicht verstand, warum deswegen so viel Theater gemacht wurde. Warum ich es tat? Damit wurde besiegelt, dass ich eine gute junge Kriminelle geworden war und mein Leben an meine Stadt band.
Obwohl er lieb und sanft war, haben wir es danach nie wieder miteinander gemacht.
Es war eine schlimme Zeit, diese letzten Monaten in Nairobi. Ich glaube, manche Zeiten sind so schlimm, dass man wahrscheinlich nur damit fertig wird, wenn man sich an das Gute oder Helle erinnert. Ich will versuchen, geradeaus und ehrlich die letzten Tage zu betrachten. Ich war inzwischen achtzehn Jahre alt, es war über ein Jahr her, dass ich die Jogoo Road verlassen hatte, und seither hatte ich meine Eltern und Klein-Ei nicht mehr gesehen. Ich war stolz und wütend und ängstlich. Aber es war kein Tag vergangen, an dem ich nicht an sie gedacht hätte und an die Pflicht, die ich ihnen schuldete. Das Chaga näherte sich an zwei Fronten, indem es von Süden herankroch und vom Norden durch die einstmals wohlhabenden Vororte Westlands und Garden Grove einfiel. Dort oben war die kenianische Armee und feuerte Mörser in die Vegetationsklippe ab, die man die Große Mauer nannte, und nahm die Bruttürme unter Artilleriebeschuss. Das war so müßig wie das Beschießen des Meeres. Im Süden hielten die Vereinten Nationen den Internationalen Flughafen um jeden Preis offen. Zwischen ihnen zerrten die Taktiker wie Straßenköter aneinander. Bündnisse wurden geschlossen und gebrochen, an ein und demselben Tag. Ein Nachbar griff den anderen an, ein Bruder tötete den anderen. Die Boulevards von Nairobis Innenstadt waren übersät mit Geschosshülsen und ausgebrannten Picknis. In der gesamten Moi Avenue gab es nicht eine einzige unzerbrochene Fensterscheibe und keinen Laden mehr, der nicht geplündert worden wäre. Und dazwischen wimmelte es von zwölf Millionen Zivilisten und dazu noch den mehr oder weniger kriminellen Rotten.
Auch wir schlossen und lösten Bündnisse. Wir hatten eine Übereinkunft mit Mombi, die gerade erst eine Vereinbarung mit Haran, einem der großen Sheriffs, blutig beendet hatte, um ein geheimes Geschäft mit den Schwarzen Simbas zu machen, die beabsichtigten, ein Machtfaktor in der neuen Ordnung nach dem Chaga zu werden. Die dummen, eitlen Soca Boys waren in einer einzigen Nacht von der East Starehe Division der Simbas vernichtet worden. Matatus und Fußballmanager-Mäntel waren russischen APCs und lichtbrechenden Kampfanzügen einfach nicht gewachsen. Bruder Staubs Vereinigungen waren gefährlich; die kriminellen Rotten hatten Geld und Einfluss, aber keine echte Macht. Trotz unserer AK47er und geil-coolen Uniformen – in letzter Zeit trug jeder eine Uniform – hätten uns selbst die Soca Boys auseinander nehmen können. Wir waren nun mal Kriminelle, keine Krieger.
Limuru, Tigani, Kiambu im Norden. Der Fluss Athi, Matathia, Embakasi im Süden. Das Chaga griff hier auf ein Haus über, dort auf eine Schule, eine halbe Kirche, ein Viertel Straße. Jeden Tag fünfzig Meter. Niemals langsamer, niemals schneller. Als der Oberste Kommandeur der
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