Auf der Straße nach Oodnadatta
beiden Polizeibeamten werden Sie nach Hause begleiten. Wenn Sie bitte den Rest ihrer Sachen zusammenpacken könnten …«
»Lassen Sie mich ihr wenigstens Lebewohl sagen. Herrje, zumindest das sind Sie mir schuldig.«
»Das darf ich nicht zulassen, Mr. Giddens. Es besteht ein erhöhtes Kontaminations-Risiko.«
»Kontamination? Ich habe während der vergangenen sechs Monate mit ihr geschlafen.«
Während die Bullen mich hinausführten, lief der Arzt neben mir her, um mir vertraulich etwas zu sagen.
»Mr. Giddens, diese Nanoprozessoren in ihrem Blutkreislauf …«
»Derentwegen wird sie aus dem Land geschmissen, verdammt noch mal.«
»Die Fullerene …«
»Bei ihr heilen Wunden sehr schnell, das habe ich gesehen.«
»Das ist längst nicht alles, was sie bewirken, Mr. Giddens. Wahrscheinlich wird sie nie mehr krank werden. Und es gibt Hinweise darauf, dass sie einen Telomer-Verfall bei der Zellteilung verhindern.«
»Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, sie altert entschieden langsamer als wir. Ihre Lebensspanne wird vielleicht – ich weiß nicht genau – dreihundert Jahre sein.«
Ich erstarrte. Die Polizisten erstarrten.
»Und das ist noch nicht alles. Wir haben unbekannte Strukturen in ihrem Gehirn beobachtet; die beste Beschreibung, die ich dafür liefern kann, ist die, dass die Nanoprozessoren tote Neuronen neu erstellen und in ein komplementäres Neuralnetzwerk eingliedern.«
»Ein Ersatzgehirn?«
»Ein Hilfsgehirn.«
»Was würde man mit so etwas machen?«
»Was würden Sie damit nicht machen, Mr. Giddens?« Er fuhr sich mit der Hand über den Mund. »In dieser Hinsicht sind wir auf reine Spekulationen angewiesen, aber …«
»Aber?«
»Aber in gewisser Weise beherrscht sie all diese Dinge. Ich glaube – das ist lediglich eine Theorie –, dass sie mittels dieses Hilfsgehirns in der Lage ist, sich mit den Nanoprozessoren auszutauschen. Vielleicht kann sie sie machen lassen, was sie will. Kann sie programmieren.«
»Ich danke Ihnen für die Aufklärung«, sagte ich voller Bitterkeit. »Das macht alles so viel leichter.«
Ich ging mit den beiden Polizisten zu mir nach Hause. Ich forderte sie auf, sich Tee zu kochen. Ich nahm Tens ordentlich eingeräumte Bücher und CDs aus meinem Regal und ihre ordentlich zusammengelegten Kleidungsstücke aus meinen Schubladen und ihre Toilettenartikel aus meinem Bad und verstaute sie in den beiden Taschen, in denen sie die Sachen hergebracht hatte. Ich gab den Polizisten die Taschen, sie fuhren damit in ihrem Wagen davon. Ich bekam keine Gelegenheit, mich von ihr zu verabschieden, ich habe nie erfahren, mit welchem Flug sie abgeschoben wurde, von wo aus sie dieses Land verlassen hat. Ein Gesicht hinter Glas. Das war meine letzte Erinnerung. Das, was ich gefürchtet hatte – der Wahnsinn aus dem Nichts –, hatte sie weggeholt.
Nachdem Ten weg war, war ich lange krank. Es gab keinen Sonnenschein, keinen Regen, keinen Wind. Keine Tage, keine Zeit, nur ein ständiges schrilles, lautloses Weinen in meinem Kopf. Meine Arbeitskollegen legten zu meinen Gunsten eine gespielte leicht verstärkte Normalität an den Tag. Wenn sie allein mit mir waren, pflegten sie mich mit sehr sanfter Stimme zu fragen: Wie fühlst du dich?
»Wie ich mich fühle?« Ich sagte es ihnen. »Als ob ich mit einem Feuerstoß aus einer Schnellfeuerwaffe erschossen worden wäre, und ich bin tot und weiß es nicht.«
Ich bat darum, dass jemand anderes die Buchführung von I-Nation übernehmen solle. Wynton rief mich an, aber ich konnte nicht mit ihm sprechen. Er schickte mir eine Flasche von dem guten jamaikanischen Importlikör und einen Zettel, auf dem stand: ›Komm her, besuch uns, wann immer du willst.‹ Willy regelte für mich das Nötige für einen unbezahlten Urlaub und besorgte mir einen Therapeuten.
Sein Name war Greg, er war ein patientenzentrierter Therapeut, was bedeutete, dass ich so lange ich wollte über alles, was ich wollte, mit ihm reden konnte, und er musste zuhören. Bei den ersten Sitzungen redete ich sehr wenig. Zum einen kam ich mir blöd vor, zum anderen wollte ich nicht darüber sprechen, auch nicht mit Fremden. Aber es funktionierte, in ganz kleinen Schritten, ohne dass ich es eigentlich merkte. Ich glaube, ich wurde mir dessen erst allmählich bewusst, und zwar von dem Tag an, als ich auch richtig begriff, das Ten zwar nicht mehr da, aber nicht tot war. Ihr letztes Foto von Afrika hing immer noch am Kühlschrank, und ich betrachtete es und sah etwas Neues: dort
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