Auf der Straße nach Oodnadatta
Anwesenheit ständig bewusst, so wie Leute, die Platten im Schädel haben, angeblich ständig einen leichten Druck verspüren. Manchmal, wenn die Gesichter mich schlafen ließen, wurde ich stattdessen von einem merkwürdigen Geruch aufgeweckt, nicht stark, aber deutlich; moschusartig und fruchtig und süßlich, erotisch, warm. Es war der Geruch des Chaga, der von Süden her wehte.
Von Zelt zu Lastwagen zu Lager zu Zelt. Meine drei Wochen neigten sich dem Ende zu, und ich musste mich um eine Transportmöglichkeit zurück von der Front nach Samburu und dann um einen Flug nach Mombasa kümmern. Als noch drei Tage übrig waren, kam ich in Eldoret an, dem Regionalzentrum der UNECTA am Viktoriasee. Man hatte dort den Eindruck von prallem Leben. In den Läden und Hotels und Cafes herrschte emsige Geschäftigkeit, aber die weißen Gesichter und die amerikanische Art des Sprechens und sich Kleidens verrieten einem, dass Eldoret eine fremdbestimmte Stadt war. Das Rift Valley Hotel kam mir nach acht Tagen an der Front wie der Himmel vor; Ich verbrachte eine Stunde im Pool und versuchte, mich in den Himmel hinauf zu beamen. Ein plötzliches Gewitter mit stürmischem Regen vertrieb alle vom Wasser, nur mich nicht. Ich schwamm und genoss den Luxus, während die Regentropfen um mich herum ins Wasser platschten. Gegen Sonnenuntergang ging ich hinunter zu den Lagern. Sie lagen südlich von der Stadt, wie eine Linie von Kanonenfutter gegen das Chaga. Ich nahm Einsicht in die Berichte, eine reine Formsache. Keine Tendeléo Bi. Ich ging trotzdem hinein. Es war wieder eins von vielen Lagern, und nach einer gewissen Zeit wird jeder abgestumpft gegen das Leid. Anders geht es nicht. Man muss sich in den großen Hotels einquartieren und im Pool schwimmen und ein gutes Abendessen zu sich nehmen, wenn man zurückkommt; in den Lagern muss man in die Gesichter blicken und dabei nichts als Gesichter sehen und sich davor hüten, eine Verbindung zu den Geschichten herzustellen, da dahinter liegen. Die abgebrühtesten Leute, die ich kenne, arbeiten in der Mitleids-Branche. Also schritt ich an den Gesichtern vorbei und irgendwo auf halbem Weg in einer Reihe fiel mir das Spielzeug wieder ein, das Jean-Paul mir gegeben hatte. Ich holte es hervor. Das Display blinkte grün auf. Ein einziges Wort stand da: Sperre.
Ich hätte es beinahe fallen lassen. Ich spürte einen Schlag zwischen den Augen. Ich vergaß zu atmen. Die Welt kippte zur Seite weg. Meine verdammten, blöden Finger brachten kein klares Bild auf dem Display zustande. Ich rannte durch die Reihen von Zelten und besah mir die Gestalten. Die Digitalanzeige zeigte mir, wie weit ich in nördliche und östliche Richtung entfernt war. Ich taumelte rückwärts, bog bei der nächsten Lücke nach rechts ab und rannte nach Osten weiter. Beide Zahlenreihen wurden kleiner. Ich schoss übers Ziel hinaus, die Anzeige Ost ging höher. Wieder zurück. Diese Reihe. Diese Reihe. Ich spähte durch das Dämmerlicht. Am Ende der Reihe war eine Gruppe von Leuten, die sich vor einem Zelt unterhielten, beleuchtet von einer gelben Petroleumlampe. Ich rannte los, ein Auge auf dem Fährtensucher. Ich stolperte über Spannseile, warf Kanister um, stieß Kinder beiseite, entschuldigte mich bei alten Frauen. Die Nummern klickten immer tiefer, fünfunddreißig, dreißig, fünfundzwanzig Meter … Ich sah diese eine Gestalt in der Gruppe, den Rücken mir zugewandt, bekleidet mit einem purpurfarbenen Kampfanzug. Ost Null, Nord Zwanzig, achtzehn … Klein, weiblich. Zwölf, zehn. Trug die Haare in großen weichen Stacheln. Acht, sechs. Ich brachte es nicht weiter als vier. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht sprechen. Ich zitterte.
Die Gestalt, die meine Anwesenheit offenbar spürte, drehte sich um. Das gelbe Licht fiel auf sie.
»Ten«, sagte ich. Ich sah fünfzig Regungen in diesem Gesicht. Dann rannte sie zu mir und ich ließ das Spürgerät fallen, und ich hob sie hoch und drückte sie an mich und keine Worte, weder meine eigenen noch die von irgendjemandem sonst, glaube ich, können beschreiben, wie ich mich in diesem Augenblick fühlte.
* * *
Jetzt kommen unsere Leben und unsere Geschichten und Orte zusammen, und meine Erzählung bewegt sich ihrem Ende zu.
Ich glaube, dass die Menschen und ihre Gefühle sich auf Raum und Zeit niederschreiben. Nur so kann ich es mir erklären, dass ich wusste, noch bevor ich mich umdrehte und ihn dort im Lager sah, dass es Shoun war, dass er mich gesucht und
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