Auf der Straße nach Oodnadatta
unten, da drin, irgendwo dort war Ten. Diese Erkenntnis war ungeheuerlich und gleichzeitig etwas Feines, Zartes. Ich könnte es damit vergleichen, wenn ein Mensch sich im Dunkeln befindet. Er stellt sich vor, er ist in einem Zimmer ohne Türen, ohne Fenster, und er wird niemals einen Weg hinaus finden. Doch dann hört er Geräusche, spürt eine Berührung im Gesicht, ein schwacher Geruch steigt ihm in die Nase, und er erkennt, dass er überhaupt nicht in einem Zimmer ist – er ist im Freien; die Berührung in seinem Gesicht ist der Wind, die Geräusche stammen von den nächtlichen Vögeln, der Geruch kommt von den nachtblühenden Blumen und irgendwo über ihm sind Sterne.
Greg sagte nichts dazu, als ich ihm das erzählte – das tun sie nie, diese patientenzentrierten Jungs, doch nach dieser Sitzung ging ich ins Netz und begann die Suche nach Tendeléo Bi. Aufgrund eines Gesetzes, das ›Freedom of Information Act‹ heißt, gelangte ich in die Datenbank der Einwanderungsbehörde. Ten war in einer Militärmaschine nach Mombasa geflogen worden. Der UNHCR in Mombasa hatte sie Likoni Zwölf zugewiesen, einem neuen Lager im Süden der Stadt. Am zwölften November wurde sie nach auswärts verlegt. Es bedurfte einer zwei Tage langen Suche, bis ich herausfand, dass eine Tendeléo Bi drei Monate später an einem Ort namens Samburu Nord untergebracht war. Aus einem medizinischen Befund ging hervor, dass sie unter Erschöpfung und Dehydration litt, dass sie jedoch auf eine Behandlung mit Zucker und Salz ansprach. Sie lebte.
Am ersten Montag des Winters ging ich wieder zur Arbeit. Ich hatte ein ganzes Quartal versäumt. Am ersten Freitag reichte Willy mir einen Ausdruck von einer Online-Stellenvermittlungs-Agentur.
»Ich habe den Eindruck, du brauchst einen Szenenwechsel«, sagte er. »Diese Leute suchen einen Sachbuchhalter.«
›Diese Leute‹ waren Ärzte ohne Grenzen. Sie brauchten einen Sachbuchhalter für den Schauplatz Ostafrika.
Acht Monate nach dem Abend, an dem die beiden Polizisten Tens Sachen mitgenommen hatten, stieg ich in Mombasa aus dem Flugzeug. Ich glaube, die Hölle muss so sein, wie es Mombasa in den letzten Tagen als Hauptstadt der Republik Kenia gewesen war, mit einer in der Auflösung begriffenen Infrastruktur, einer zerfasernden Wirtschaft, einem Hafen, der nur noch eine unüberschaubare Masse von Boat People war, zu der eine weitere Million Menschen in den Lagern in Likoni und in den Shimba Hills kam, während der Islam und das Christentum einen neuen Kreuzzug führten um die Beherrschung dieses Chaos und das Chaga nach dem neuen Einschlag bei Tanga von Westen und jetzt auch aus den Süden hereinbrach. Inmitten all dessen war Sean Giddens, Sachbuchhalter. Es war eine gute, handfeste Arbeit im Abteilungs-Hauptquartier von Ärzte ohne Grenzen, die darin bestand, dass er Arzneimittel kaufte, wo, wann und wie er konnte; er schacherte mit Lastwagenfahrern und sibirischen Jet-Piloten; verhandelte über Dienstleistungsverträge, während die Ersatzteile für Landcruisers immer rarer wurden, und jonglierte jeden Tag mit Budgets, die stets zu gering waren angesichts eines zu großen Bedarfs. Mir gefiel das besser als jede Arbeit, die ich je zuvor verrichtet hatte. Ich hatte so viel zu tun, dass ich manchmal ganz vergaß, warum ich eigentlich hier war. Dann nahm ich den sicheren Bus zurück zu der umzäunten Anlage, in der ich wohnte, und sah, wie auf der anderen Seite des Hafens der Rauch aufstieg, ich hörte den Widerhall der Maschinengewehre von den alten arabischen Häusern, und die Erinnerung an das Bild von ihr hinter dem grünen verdrahteten Glas traf mich in die Eingeweide.
Mein Chef war ein großer, grobgestrickter Franzose namens Jean-Paul Gastineau. Er hatte auf jedem Kontinent außer der Antarktis Kriege und Katastrophen überlebt. Er liebte kubanische Zigarren und Wein aus dem Tal, in dem er geboren worden war, und Opern, und er sorgte dafür, dass er all dieses bekam, ungeachtet von Entfernung oder Kosten. Er nahm ganz strikt keine Drogen. Ich mochte ihn sehr. Ich war für ihn ein beschissener, dünnblütiger Zahlen hin und her schiebender ›Schwarzer Rosbif‹, aber er hatte Spaß an meiner kreativen Buchhaltung. Er war in Mombasa verschwendet. Er war ein echter Front-Arzt. Es juckte ihn nach Action.
Zur Mittagszeit, als er seinen Rotwein öffnete, fragte ich ihn, wie leicht man jemanden in den Lagern finden könnte. Er sah mich verschmitzt an, dann fragte er: »Wer ist sie?«
Er goss
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