Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
gefunden hatte. Ich sage Ihnen, wenn das jemand für einen getan hat, dann weiß man es einfach. Ich sah ihn, und es war, als ob die Welt Regeln festgelegt hätte, wie es für mich laufen sollte, und dann plötzlich sagte sie, nein, ich durchbreche sie jetzt, für dich, Tendeléo, einfach weil es mir so gefällt. Er war unmöglich, er veränderte alles, was ich wusste, er war da.
    Zu viel Glück weint. Zu viel Kummer lacht.
    Er nahm mich mit in sein Hotel. Die Hotelbediensteten musterten mich argwöhnisch, als er sich den Schlüssel am Empfang holte. Sie wussten, was ich war. Sie wagten es nicht, irgendetwas zu sagen. Die weißen Männer an der Bar wandten sich ebenfalls um und starrten. Sie kannten die Bedeutung der Farben, die ich trug.
    Er nahm mich mit in sein Zimmer. Wir saßen auf dem Balkon und tranken Bier. Es gab ein Gewitter in dieser Nacht – oben im Hochland gibt es fast jede Nacht ein Gewitter –, aber es blieb im Westen zwischen den Nandi-Bergen. Blitze krochen zwischen den Wolken hindurch, der Donner schüttelte unsere Bierflaschen auf dem Eisentisch. Ich erzählte Shoun, wo ich überall gewesen war, was ich getan hatte, wie ich gelebt hatte. Es war eine Geschichte, die zu erzählen lange dauerte. Der Himmel hatte sich aufgeklärt, ein neuer Tag brach an, als ich damit fertig war. Wir haben uns immer gegenseitig Geschichten erzählt, unsere gegenseitigen Geschichten.
    Er hielt seine Fragen bis zum Ende zurück. Er hatte viele, viele davon.
    »Ja, ich vermute, man kann das mit den alten unterirdischen Sklavenzügen vergleichen«, beantwortete ich eine davon.
    »Ich begreife immer noch nicht, warum sie die Leute davon abzuhalten versuchen hineinzugehen.«
    »Weil wir ihnen Angst machen. Wir könnten da drin eine Gesellschaft aufbauen, die nicht auf sie angewiesen ist. Wir stellen all ihre Werte infrage. Dies ist das erste Jahrhundert, in das wir eingegangen sind, in dem wir keine Vorstellungen, keine Philosophie, keinen Glauben haben. Sachen kaufen, Sachen betrachten. Das ist alles. Sollen wir etwa eintausend Jahre darauf aufbauen? Nun, derzeit tun wir das. Ich sage dir, ich habe viel gelesen, gelernt, Gedanken, Politik. Philosophie. Es ist alles da drin. Es gibt Informationsspeicher, die so groß sind wie Wolkenkratzer, Shoun. Und es geht nicht nur um unsere eigene Geschichte. Es geht auch um andere Leute, andere Rassen. Du kannst dich in sie hineinversetzen, du kannst eins werden mit ihnen, kannst ihr Leben leben, kannst die Dinge mit ihren Sinnen wahrnehmen. Wir sind nicht die Ersten. Wir sind ein Glied in einer langen, langen Kette, und wir sind nicht das Ende davon. Die Welt wird uns gehören; wir werden physikalische Wirklichkeiten beherrschen, so mühelos, wie Computer Informationen beherrschen.«
    »Zum Teufel, vergiss die UN … du machst mir Angst, Ten!«
    Es gefiel mir immer sehr gut, wenn er mich Ten nannte. Il Primo. Die Spitze des Haufens, König des Berges, die Nummer Eins.
    Dann sagte er: »… und deine Familie?«
    »Klein-Ei ist an einem Ort namens Kilandui. Er ist voll von Webern; sie ist Weberin. Sie fertigt schöne Brokatstoffe an. Ich sehe sie ziemlich oft.«
    »Und deine Mutter und dein Vater?«
    »Ich werde sie finden.«
    Aber auf die meisten seiner Fragen gab es nur eine einzige Antwort: ›Komm mit, dann zeige ich es dir.‹ Ich beließ es fürs erste dabei. Ich schaukelte ihn, als ob er geschlagen worden wäre.
    Nach einer Weile sagte er: »Meinst du das ernst?«
    »Warum nicht? Du hast mich einmal mit zu dir nach Hause genommen, lass mich jetzt dich zu mir mitnehmen. Aber erst mal … es ist ein Jahr her … Und so viel …«
    Er verstand, was ich meinte.
    »Du gefällst mir in diesem Kampfanzug«, sagte er.
    Wir lachten viel und erinnerten uns an alte Dinge, die wir vergessen hatten. Allmählich schüttelten wir den Rost und den Staub ab, und es war gut, und ich erinnere mich, wie das Zimmermädchen die Tür öffnete und einen kleinen spitzen Schrei ausstieß und sich kichernd entfernte.
    Sean hatte mir einmal erzählt, das die größten Epochen seiner Nation auf diesen Worten aufgebaut waren: warum nicht? Tausend Jahre lang hatte das Christentum England mit der Frage beherrscht: Warum? Warum bauen wir eine Kathedrale, erfinden wir eine Wissenschaft, schreiben wir ein Theaterstück, entdecken wir ein neues Land, gründen wir ein Geschäft: Warum? Dann kamen die Elisabethaner mit der Antwort: Warum nicht?
    Ich wusste, dass der alte Elisabethaner dachte: Warum nicht? Auf ihn

Weitere Kostenlose Bücher