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Auf der Straße nach Oodnadatta

Auf der Straße nach Oodnadatta

Titel: Auf der Straße nach Oodnadatta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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warteten lediglich Zahlen, zu denen er hätte zurückkehren können, und Sozialhilfe-Fallen und eine alte, graue Stadt und eine alte, graue sterbende Welt, eine sichere Welt ohne große Verheißungen. Hier gibt es eine Welt zu erschaffen. Hier gibt es die Zukunft von einer Million Jahren zu formen. Hier gibt es tausend verschiedene Arten des Zusammenlebens, die gestaltet werden müssen, und wenn sie nicht funktionieren, knete sie zusammen wie Lehm und fang von vorne an.
    Ich drängte Sean nicht zu einer Antwort. Er wusste so gut wie ich, dass das keine leichte Entscheidung war. Es bedeutete, eine Welt aufzugeben oder einander aufzugeben. Das sind keine Entscheidungen, die man innerhalb eines Tages trifft. Also genoss ich das Hotel. Eines Tages gönnte ich mir ein ausgedehntes Bad. Das Hotelzimmer hatte ein sehr großes Bad und es gab allerlei kostenloses Zeug, mit dem man spielen konnte, also trieb ich regen Missbrauch damit. Ich hörte, wie Sean den Telefonhörer abnahm. Ich verstand nicht, was er sagte, aber er sprach sehr lange. Als ich herauskam, saß er auf der Bettkante und hatte das Telefon neben sich. Er saß sehr aufrecht da und sah irgendwie formell aus.
    »Ich habe Jean-Paul angerufen«, sagte er. »Ich habe ihm meine Kündigung durchgegeben.«
    Zwei Tage später machten wir uns auf den Weg zum Chaga. Wir fuhren mit einem Matatu. Es waren Schulferien, die Peugeot-Fahrdienste waren stark frequentiert von Kindern auf dem Heimweg zu ihren Familien. Sie veranstalteten viel Lärm und Trubel. Sie musterten uns aus den Augenwinkeln und beugten sich tuschelnd zusammen. Sean entging das nicht.
    »Sie reden über dich«, sagte er.
    »Sie wissen, was ich bin, was ich tue.«
    Eines der Schulmädchen in einer schwarz-weißen Uniform verstand unser Englisch. Sie nagelte Sean mit einem Blick fest. »Sie ist eine Kriegerin«, erklärte sie ihm. »Sie gibt uns unsere Nation wieder.«
    In Kapsabet trennten wir uns von den meisten der Kinder, die in andere Matatus umstiegen; das unsere fuhr in das Herz der Nandi-Berge. Es war eine hochgelegene, grüne hügelige Landschaft, vielleicht vergleichbar mit Seans England. Ich bat den Fahrer, gleich hinter einem Metallkreuz zu halten, ein Denkmal für ein paar Leute, die vor langer Zeit bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren.
    »Und jetzt?«, fragte Sean. Er saß auf dem kleinen Bündel, das, wie ich ihm gesagt hatte, alles sei, was ich mitnehmen könne.
    »Jetzt warten wir. Es wird nicht lange dauern.«
    Zwanzig Personenwagen fuhren auf der schlammigen roten Lehmstraße an uns vorbei, außerdem zwei Lastwagen, ein Überlandbus und ein Konvoi von medizinischen Versorgungsfahrzeugen. Dann kamen sie aus der Dunkelheit zwischen den Bäumen auf der gegenüberliegenden Straßenseite hervor, wie Träume aus dem Schlaf: Meji, Naomi und Hamid. Sie gestikulierten mit den Armen: hinter ihnen kamen Männer, Frauen, Kinder … ganze Familien, von Babies, die auf den Armen getragen wurden, bis zu alten Männern; zwanzig Leute tauchten einer nach dem anderen aus der Dunkelheit auf und blickten nervös die gerade rote Straße auf und ab, bevor sie auf die andere Seite wechselten.
    Meji und ich schlugen die Hände zusammen, er musterte Sean von oben bis unten.
    »Ist er das?«
    »Das ist Sean.«
    »Ich hatte jemanden erwartet, der …«
    »… etwas weißer ist?«
    Er lachte. Er gab Sean die Hand und stellte sich vor. Dann nahm Meji eine Sprühtube aus seiner Tasche und hüllte Sean in einen Spraydunst ein. Sean machte einen Satz zurück, hustend und würgend.
    »Bleib stehen, wenn du nicht willst, dass dir die Kleider vom Leib fallen, wenn du hineingehst«, sagte ich.
    Naomi übersetzte meine Worte für die anderen. Sie fanden sie sehr komisch. Nachdem er Seans Kleidung immunisiert hatte, besprühte Meji seine Tasche.
    »Also dann, auf geht’s«, sagte ich zu Sean.
    Wir verbrachten die Nacht im Haus des Dorfoberhauptes von Senghalo, genannt ›Chief‹. Das war die letzte Station an unserer Strecke. Ich wusste aus meiner Zeit als Staub-Mädchen, dass man ebenso gute Leute drin wie draußen braucht. Von überall her strömten Menschen herbei, um den schwarzen Engländer zu sehen. Obwohl es ihn störte, angegafft zu werden, brachte Sean es fertig, seine Geschichte zu erzählen. Ich übersetzte. Am Ende brach die Menge vor Chiefs Haus in spontanen Beifall aus, der sich unter anderem als Fingerschnipsen äußerte.
    »Herrje, Tendeléo, wie können wir da nur mithalten?«, sagte Meji halb

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