Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
eigenen Angaben zufolge die National Rifle Association, die nationale Schusswaffenvereinigung. Eine mächtige Lobby.
»Man kann auch mit Düngemitteln eine Menge Schaden anrichten und es benutzen, um eine Bombe zu bauen«, sagt Rob Osborne. »Trotzdem tritt niemand für ein Verbot von Düngemitteln ein. Die überwältigende Mehrheit der Leute, die ihre Waffen völlig korrekt und vernünftig benutzen, sollten nicht unter dem Fehlverhalten einiger Verrückter leiden.«
Mir erscheint der Gedanke widersinnig, dass Waffenbesitz etwas mit bürgerlichen Freiheiten zu tun haben soll. Ich bin sehr dankbar dafür, in einer Gesellschaft zu leben, in der ich als Zeugin einer Auseinandersetzung zwischen Betrunkenen nicht befürchten muss, dass plötzlich einer von ihnen durchdreht und eine Pistole zieht. Wäre es anders, dann fühlte ich mich in meiner persönlichen Freiheit deutlich mehr eingeschränkt als durch eng gefasste Waffengesetze. Aber ich weiß auch, dass die Vereinigten Staaten auf eine andere Geschichte zurückblicken als Europa und dass ich mich schwer damit tue, mich wirklich hineinzufühlen in eine Gesellschaft, die noch immer von der Erinnerung an die Gegebenheiten geprägt ist, mit denen sich die Pioniere auseinanderzusetzen hatten.
Außerdem ertappe ich mich dabei, mit zweierlei Maß zu messen. In den Neunzigerjahren habe ich als Korrespondentin in Ost- und Zentralafrika gearbeitet. In die Zeit meines Aufenthaltes dort fiel die internationale Militärintervention in Somalia, einem zerfallenen, hungernden Staat, in dem bis heute ein Bürgerkrieg tobt. Ich fand damals Vorschläge kontraproduktiv, die darauf hinausliefen, jeden Somali zu entwaffnen, weil ich überzeugt war, dass ein solcher Schritt nur zu kollektiver Feindseligkeit gegen die ausländischen Truppen führen würde. Zu tief ist in der überwiegend nomadischen Gesellschaft das Recht auf Waffenbesitz verankert. Einem somalischen Mann sein Gewehr wegzunehmen, wäre eine Verletzung seiner Ehre. Das kann nicht gut gehen, wie ich noch immer glaube.
Aber wenn ich der Ansicht bin, dass die Prägung eines Somali durch seine Kultur und seine Geschichte so schwer wiegt – wieso akzeptiere ich das bei einem Bürger der USA nicht? Gut möglich, dass gerade die Amerikaner, die ihr Recht auf die eigene Waffe besonders vehement verteidigen, empört jeden Vergleich mit Somalis zurückweisen würden. Aber dass sie das vielleicht täten, bedeutet ja nicht, dass ich mich dieser Sichtweise anschließen muss. Ich stelle wieder einmal fest: Es fällt mir leichter, anderen Völkern kulturelle Gepflogenheiten zuzubilligen, die mir nicht gefallen, als den Bürgern der Weltmacht. Das ist ungerecht.
Allerdings ging es in Somalia um eine mögliche Entwaffnung durch ausländische Kräfte. In den USA gibt es viele Leute, die eine Änderung der Waffengesetze ebenso vernünftig fänden wie ich. Es ist ein Unterschied, ob eine Reform von außen erzwungen oder von innen durchgesetzt wird. Aber die Waffenlobby ist so stark, dass alle Präsidentschaftskandidaten sich diesem Thema allenfalls zögernd und vorsichtig nähern.
Würde Rob Osborne seine Wahlentscheidung von der Position eines Kandidaten zu dieser Frage abhängig machen? »Darauf können Sie wetten«, antwortet er lachend – was in seiner Situation ja auch durchaus nachvollziehbar ist. Er möchte seine Haltung zu dieser Frage jedoch nicht auf seine persönlichen Interessen reduziert sehen. Wer das Recht auf Waffenbesitz verteidige, stimme meist auch anderen weltanschaulichen Grundsätzen zu, die er teile: Stärkung der Rechte des Individuums, Kampf gegen Abtreibung und Stammzellenforschung. »Aber das wichtigste politische Thema ist der Arbeitsmarkt.«
Rob Osborne bezeichnet sich selbst als Globalisierungsgegner: »Ich bin total dagegen. Und ich glaube, dass der durchschnittliche Amerikaner das genauso sieht. China hat unsere Wirtschaft ruiniert. Denen verdanken wir unsere Arbeitslosigkeit.« Es gebe viele Leute, die meinten, die USA müssten den Rest der Welt glücklich machen: »Ich bin ein Bauerntrampel. Mir ist der Rest der Welt egal.« Er lacht. Freundlich, offen, ein bisschen selbstironisch. Vermutlich wäre er überrascht zu erfahren, dass viele Leute in anderen Ländern inzwischen nichts mehr fürchten als den Wunsch der USA, sie glücklich zu machen. Oder gar zu befreien.
Was braucht Amerika? »Die Zeit ist reif für einen großen Staatsmann mit einer großen Vision«, sagt Rob Osborne. Das ist der
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