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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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Augenblick, in dem ich meine eigene historische und kulturelle Prägung spüre. Mir läuft es bei einem solchen Satz kalt den Rücken hinunter. Wie schrieb eine Freundin in einer Mail mit Blick auf den amerikanischen Wahlkampf? »Bitte kein Charisma. Charakter genügt.« Ja, genau.
    Draußen vor der Tür rauche ich noch eine Zigarette mit Jerry Lape, dem Angestellten von Rob Osborne. Er fragt mich, ob ich der Ansicht sei, es werde der Europäischen Union in absehbarer Zeit gelingen, sich auf gemeinsame soziale Standards zu einigen. Ich finde die Frage faszinierend. Ebenso wie ich es faszinierend fand, dass mich einige Tage zuvor ein Tankwart gefragt hatte, ob die Währungsunion nach dem Fall der Mauer meiner Meinung nach zu rasch erfolgt sei.
    Beide Fragen zeugen von einer ziemlich fundierten Kenntnis der Welt außerhalb der USA. Es ist nicht schwierig, Gegenbeispiele zu finden, die von erschütternder Ahnungslosigkeit künden: etwa eine Kassiererin, die verblüfft fragt, ob denn nicht überall auf der Welt mit Dollars bezahlt werde. Aber solche Beispiele sind kleine Münze. Sie können lediglich Munition für Vorurteile liefern, die bereits bestehen. Nämlich, dass die Amis keine Ahnung haben und sich auch für gar nichts interessieren außer für sich selbst. Die Fragen nach den EU-Standards und nach der Währungsunion beweisen das Gegenteil. Wie viele Deutsche sind imstande, eine intelligente, kenntnisreiche Frage zu dem System des Mindestlohns in den USA zu stellen? Was sich ja mit der Frage nach den EU-Sozialstandards durchaus vergleichen lässt. Mag sein, dass solche Fragen eher die Ausnahme als die Regel sind. Mag sein, dass viele US-Bürger fürchterlich ignorant und arrogant sind. Aber da sind sie nicht die Einzigen auf der Welt.
    Von Michigan aus geht es über Chicago in Illinois nach Wisconsin. Chicago ist eine Stadt, die ich nicht kenne, aber immer mal sehen wollte. Ich muss dort zwei Tage Station machen, um aus beruflichen Gründen eine Kollegin zu treffen. Das wäre natürlich eine gute Gelegenheit, sich umzuschauen. Aber es ist merkwürdig: Ich habe gar keine Lust dazu. Inzwischen bin ich so sehr auf die ländlichen Gebiete und die kleinen Städte konzentriert, dass für anderes in meinem Kopf kein Raum mehr ist. So bleibe ich die meiste Zeit in meinem Hotel, das mit »europäischem Charme« für sich wirbt, und genieße die Pause.
    Unter »europäisch« wird offenbar vor allem verstanden: technisch rückständig. Anders als noch im billigsten Motel in der Provinz gibt es hier keine kostenlose drahtlose Netzverbindung, sondern man muss zehn Dollar bezahlen, um sich mithilfe eines Kabels ins Internet einwählen zu können. Mit wechselndem Erfolg. Der Computer stürzt alle paar Minuten ab. Das hat wenig Charme, weder europäischen noch sonst welchen.
    Außerdem ist es eine Herausforderung, mit Deutschland zu telefonieren. »Ferngespräch? Kein Problem«, behaupten die freundlichen Angestellten an der Rezeption. Um dann, wenn man erklärt, dass Europa mit der Ferne gemeint ist, zu reagieren, als habe man sich erkundigt, wie sich von hier aus Rauchsignale an den Südpol schicken lassen. Das gilt allerdings fast überall in den Vereinigten Staaten. Im ungünstigen Fall ist ein Gespräch nach Übersee überhaupt nicht möglich, ohne dass man vorher eine Telefonkarte gekauft hat. Die es in Hotels nicht gibt. Im günstigen Fall wird man zurückversetzt ins Zeitalter des Fräuleins vom Amt: Ohne Operator geht gar nichts, ohne Kreditkartennummer auch nicht. Verständlich, bei durchschnittlich zwölf Dollar die Minute.
    Vielleicht ist es nicht, wie Rob Osborne glaubt, vor allem China, das die US-Wirtschaft ins Trudeln bringt. Vielleicht spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Die Weltläufigkeit, die mich bei manchen Bewohnern der Provinz überrascht hat, lässt sich jedenfalls nicht in gleichem Umfang in soliden Mittelklassehotels beobachten.
    Chicago ist ja keine Ausnahme. In einem Hotel in Charlottesville, Virginia, stand ein ganz normal aussehendes, funktionsfähig wirkendes Telefon auf dem Schreibtisch. Der einzige Schönheitsfehler: Es hatte keine Kabel und war deshalb, wenig überraschend, tot. Tot war auch der Apparat meines Zimmers in Brady, Texas. Was besonders unangenehm war, weil ich ein Live-Gespräch mit einer Morgensendung des RBB verabredet hatte. In Lake Park, Georgia, erklärte die Angestellte an der Rezeption knapp und unerbittlich: »We don´t do long distance calls – wir bieten keine

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