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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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und das zu einer Zeit, als die weiße Mittelschicht alles Mögliche wollte – nur keine schwarze Mittelschicht. Die Verhältnisse im unteren Drittel der Gesellschaft haben sich aneinander angeglichen. Idlewild wirkt ärmlich. Die anderen Feriengebiete in der Umgebung ebenfalls.
    So auch White Cloud, etwa eine Autostunde südlich von Idlewild gelegen. Dort hat Rob Osborne sein Waffengeschäft, übernommen vom Vater, der den Laden 1947 aufgemacht hat. Da war Rob ein Jahr alt. An den Wänden hängen unverkäufliche Gewehre aus der persönlichen Sammlung. Ein »German Schützen«, das deutsche Einwanderer vor dem Ersten Weltkrieg mitgebracht haben. Im Mittleren Westen der USA, zu dem Michigan gehört, sind mehr Deutsche gelandet als irgendwo sonst in den Vereinigten Staaten. Zwei Gewehre aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, eines aus dem Norden, das andere aus dem Süden. Unbeholfen ist in dessen Schaft ein Name eingeschnitzt: Win Poteet. Ob er den Krieg überlebt hat?
    Die Waffen, die zum Verkauf stehen, eignen sich vor allem für die Jagd auf Rotwild. »Das ist bei Ihnen in Deutschland doch ein Sport für die Reichen, oder?«, fragt Rob Osborne. »Hier ist das ein Volkssport.« Offenbar. Dutzende – ach was: Hunderte, wahrscheinlich Tausende von Kneipen in Michigan, in Wisconsin, in Minnesota und in North Dakota werben mit großen Schildern an ihren Eingängen: »Willkommen Jäger!«
    Man kann schon für 120 Dollar ein Gewehr bekommen. Wenn´s was Besseres sein soll, lassen sich hier bis zu 800 Dollar ausgeben. Aber es gibt nicht nur Gewehre zu kaufen. Es gibt Magazine, Schießpulver, Reinigungsmittel, Halfter, Fernrohre. »Die Ausrüstung spielt bei der Jagd eine immer größere Rolle«, erzählt Rob. »Die Hersteller erfinden alle möglichen Gründe, warum man dies und jenes unbedingt braucht. Das stimmt natürlich alles nicht.« Er lacht. Mit seiner Brille, dem grauen Vollbart und seiner ruhigen, vertrauenerweckenden Art könnte er vermutlich jederzeit auch eine andere Arbeit finden als die des Waffenhändlers. Zum Beispiel als Schauspieler in der Rolle des Großvaters in einem Kinderfilm.
    Rob reicht mir einen sehr schweren Revolver: »So einen hätte Wyatt Earp benutzt.« Ein legendärer Westernheld. Aber Rob hat auch eine ganz leichte Pistole im Angebot. Ideal für jede Damenhandtasche.
    Könnte ich die jetzt kaufen? Nein. Rob lächelt. »Anders als viele Leute glauben« – und plötzlich wird er sehr ernst – »anders als viele Leute glauben, gibt es hierzulande durchaus Regeln und Gesetze beim Waffenverkauf.« Zunächst einmal müsse ich Bürgerin der Vereinigten Staaten sein. Außerdem hätten Käufer umfangreiche Formulare auszufüllen, erklärt Rob, und er selbst müsse beim FBI anrufen, um zu fragen, ob der Kunde einen Eintrag im Strafregister habe. Meistens dauere es nur wenige Minuten, bis die Antwort der Polizei einträfe. Aber die Beamten könnten diese Antwort auch bis zu drei Tage hinauszögern. Dann müsse eine definitive Genehmigung oder Ablehnung erfolgt sein.
    »Ich brauche nicht zu wissen, warum jemand eine Waffe kaufen will«, sagt der Händler. »Aber ich muss genau Buch über den Verkauf führen, damit die Waffe gegebenenfalls zurückverfolgt werden kann.« Könnte er sich weigern, eine Waffe zu verkaufen, obwohl das FBI grünes Licht gegeben habe? »Das ist eine Grauzone. Ich habe das schon getan, zum Beispiel wenn ein Kunde offenkundig betrunken war. Aber theoretisch könnte ich dafür von ihm vor Gericht gezerrt werden.« So weit ist es jedoch noch nie gekommen.
    Rob Osborne findet die erregte Debatte über Waffengesetze absurd: »Der Durchschnittsmensch steht dem Thema doch ziemlich nüchtern gegenüber. Es gibt eine breite Mehrheit für bestimmte Regeln – zum Beispiel dafür, dass man Kindern keine Maschinenpistole in die Hand drücken sollte. Aber es gibt doch auch schon jetzt eine Menge Kontrollen. Wenn es noch mehr gäbe, dann würde das nur zu mehr Bürokratie führen.«
    Möglicherweise. Aber es geht ja nicht um Rotwildjagd. Sondern um Amokläufer, um bewaffnete Überfälle, um die Tatsache, dass in den USA jedes Jahr allein etwa 3300 Kinder und Jugendliche durch Schusswaffen sterben. Von denen viele noch leben könnten, wenn nicht der zweite Verfassungszusatz allen Bürgern das Recht garantierte, Waffen besitzen und tragen zu dürfen. Und wenn nicht der organisierte Widerstand gegen alle Versuche einer Verfassungsänderung so stark wäre: Mehr als vier Millionen Mitglieder hat

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