Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Claudia sind etwas zurückhaltend. Ich sage, dass mich die Begeisterung für den Gemeinschaftsbesitz an den Packers verwirrt, die auch während der Führung durch das Stadion immer wieder deutlich wurde. Ist das nicht ein Widerspruch? Einerseits wird in den USA ziemlich flächendeckend materieller Erfolg bewundert, fast angebetet, und jede Kapitalismuskritik gilt als Häresie – und andererseits gibt es eine solche Verachtung reicher Mäzene und eine solche Freude darüber, dass die Packers nicht »denen da oben«, sondern »dem Volk« gehören. »Paradox, nicht wahr?«, lächelt Joe. »Die Leute haben im Lauf der Jahre gemerkt, dass reiche Geschäftsleute den kleinen Mann oft übervorteilen. Das stört viele Amerikaner. Die Packers kommen unserem Selbstbild sehr entgegen. Wir sehen uns gerne als Pioniere und nicht als Leute, die sich von einzelnen Reichen und Mächtigen manipulieren lassen. In jedem Amerikaner steckt der Geist der Unabhängigkeit. Wir geben nicht gerne zu, dass das Big Business bei uns irgendeinen Einfluss hat. Wir möchten gerne raue, robuste Individuen sein, die ihre eigenen Entscheidungen unabhängig treffen können.«
Beide Brüder glauben, dass die Neigung zur Nostalgie, die Sehnsucht nach der guten, alten Zeit, die mir auf der Reise aufgefallen ist, auch mit dieser Grundhaltung zusammenhängt. »Früher hatten die Leute das Gefühl, die Kontrolle über ihr eigenes Leben zu haben«, meint Joe. »Heute haben sie dieses Gefühl nicht mehr.« Viele Jobs seien bedroht. Die Arbeitslosigkeit könne schon bald in die Höhe schnellen. »Ich glaube, dass unsere Probleme auf eine konstruktive Weise gelöst werden könnten. Aber da scheinen fette Katzen in Washington zu sitzen, denen das offenbar alles egal ist. Wir haben heute keine politische Führung, die über den Tag hinausschaut.«
Das sieht sein Bruder genauso. David Debus befürchtet, dass die politische Führung in der Vergangenheit lebt, in einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten tun konnten, was sie wollten – und wo sie es wollten. »Das geht heute nicht mehr. Wir brauchen immer noch ein starkes Militär als Rückhalt, aber die Herangehensweise muss eine andere sein. Eine politische.« Wenn die USA weiter auf militärische Lösungen setzten anstatt endlich teilen zu lernen und die Weltmachtstellung von China, Russland und Indien anzuerkennen, dann werde es ein böses Ende nehmen. Sagt der pensionierte Oberst der US-Luftwaffe. Ich sitze da und schäme mich ob meiner Vorurteile. Und sage, dass sich die meisten derjenigen, mit denen ich bisher gesprochen habe, meinem Eindruck nach überhaupt nicht besonders für Außenpolitik interessierten, nicht einmal für den Irakkrieg. David lacht. »Kennen Sie nicht den alten Spruch: All politics are local – es gibt nur Lokalpolitik? Jetzt sagen alle: Ja, bringt die Truppen heim. Aber darüber hinaus und was dann geschehen müsste, daran wird nicht gedacht.«
David ist aufgetaut. »Nehmen Sie ein anderes Beispiel. Die Leute haben alle solche Angst vor Steuererhöhungen. Sie sehen einfach nicht, dass eine gute Infrastruktur nicht umsonst zu haben ist. Sie stellen keinen Zusammenhang her zwischen niedrigen Steuern und dem Einsturz einer Autobahnbrücke vor ein paar Wochen in Minnesota.«
Sein Bruder erinnert – bewundernd – daran, wie John F. Kennedy 1961 versprochen hatte, dass es ein Amerikaner sein werde, der als erster Mensch auf dem Mond landen werde. Kurz zuvor hatten die Sowjets den ersten Menschen überhaupt ins All geschossen. Joe fordert vom nächsten Präsidenten genau diese Art von Mut: »Warum kann ein Präsident das Ende der Abhängigkeit vom Öl nicht zu seiner ersten Priorität machen?« Er gibt sofort selbst die Antwort: »Weil die Ölfirmen ihm sagen würden: Wir sind es, die in diesem Land das Sagen haben. Uns gefällt es so, wie es jetzt ist.«
Ich denke plötzlich, dass Rob Osborne in Michigan und meine Gesprächspartner hier in Wisconsin sich vermutlich über kein einziges politisches Thema im Detail würden einigen können. Dass sie aber ganz einig darin sind, dass die USA einen starken, charismatischen Führer mit Mut zu neuen Ideen brauchen. Nein, ich habe in diesem Augenblick die überraschenden Erfolge von Barack Obama nicht vorhergesehen. Das hätte ich aber tun sollen. Was nichts daran ändert, dass Rob Osborne gewiss nie in seinem Leben einen Demokraten wählen wird. Und dass meine drei Gesprächspartner in Green Bay glühende Anhänger von Hillary Clinton
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