Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
verliebt, einen Rancher. Es habe Jahre gedauert, bis sie sich an die Mentalität hier gewöhnt habe: »Manchmal kann ich die Macho-Haltung hier im Mittleren Westen schwer aushalten.« Immer noch.
Auch nach Jahrzehnten glücklicher Ehe hat Karen Teeters keinen romantischen Blick auf den Beruf des Rinderzüchters. Im Gegenteil: »Wenn ich nicht als Lehrerin gearbeitet hätte, dann hätten wir das Land vermutlich nicht mehr«, sagt sie nüchtern. Sie brachte im Jahr knapp 38000 Dollar nach Hause. Außerdem standen ihr so nützliche Sozialleistungen zu wie eine Krankenversicherung für die ganze Familie – für viele Angestellte ist das fast noch wichtiger als das Gehalt, gerade wenn der Ehepartner selbstständig ist. Geld war trotzdem immer knapp bei den Teeters. Deshalb musste der Mann gelegentlich auf einem Ölfeld arbeiten. »Aber seine Wurzeln waren auf der Ranch.«
Ungefähr 20 Dollar pro Stunde müsse man heute hier bekommen, um die Familie überhaupt anständig durchbringen zu können, meint die gepflegte ältere Dame. Der staatlich festgesetzte Mindestlohn liegt bei 6,25 Dollar. Im Vergleich der jährlichen Durchschnittseinkommen aller 50 US-Staaten steht Montana mit etwas mehr als 25000 Dollar auf Platz 47.
Der Sohn hat die Leidenschaft des Vaters geerbt. Die Mutter war nicht begeistert: »Ich habe zu ihm gesagt: Wenn du die Ranch übernehmen willst – bitte, gerne, aber lern einen anständigen Beruf, damit du dir dieses teure Hobby leisten kannst.« Der Sohn fügte sich. Er machte eine Ausbildung als Computer- und Telekommunikationstechniker. Und stellte die Ranch von Rinderzucht auf Schafe um. Die verheiratete Tochter hat nach dem College eine Anstellung im öffentlichen Gesundheitsdienst gefunden. Man merkt Karen Teeters nicht nur den Stolz auf ihre Kinder an – man spürt auch heute noch, was für ein Stein ihr damals vom Herzen gefallen sein muss, als die Kinder einen aus ihrer Sicht vernünftigen Weg eingeschlagen haben.
Ich erzähle ihr von meinem Gespräch mit James Randy: von seiner Freude über die derzeit hohen Preise, von seinem Optimismus, von dem Sohn, der das College abgebrochen hat. Sie zieht die Mundwinkel nach unten: »Es stimmt, dass man derzeit gutes Geld verdient, aber lange hatten wir hier Preise für Landwirtschaftsprodukte wie in den Fünfzigerjahren. Wer sagt, dass das nicht wieder so sein wird?« Den Verzicht auf eine College-Ausbildung hält sie für unverantwortlichen Leichtsinn: »Für 80 Prozent aller Jobs braucht man irgendeine Qualifikation, die über einen einfachen Schulabschluss hinausgeht.« Wieder einmal – wie so oft auf dieser Reise – wünsche ich mir, verschiedene Gesprächspartner an einem Tisch zusammenbringen zu können. Was würde James Randy zu ihren Argumenten sagen?
Karen Teeters wäre über Widerspruch nicht überrascht. Sie fühlt sich noch immer als Außenseiterin, obwohl sie fast ihr gesamtes erwachsenes Leben hier zugebracht hat. Montana tendiert mehrheitlich zu den Republikanern – sie ist überzeugte Demokratin: »Viele kleine Geschäftsleute halten sich selber für einen Teil des Big Business und wählen entsprechend. Es macht mich rasend.« Für »gierig und korrupt« hält sie Regierung und die Großkonzerne. »Wir haben uns weltweit in einen so großen Schlamassel hineingeritten, dass der nächste Präsident über ganz besonders große diplomatische Fähigkeiten verfügen muss. Er braucht eine gute Idee, wie wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen.« Selbstverständlich ist sie gegen den Irakkrieg, was für eine Frage! »Wir sollten nicht tun, was die Sowjetunion getan hat: uns in den Bankrott reiten, um Kriege in aller Welt zu führen.«
Der Ehemann von Karen Teeters ist 72 Jahre alt und nicht gesund. Das Paar lebt in dem Stadthaus, in dem vor Jahrzehnten schon ihre Schwiegermutter die Monate des Schuljahres verbringen musste, damit der Sohn den Unterricht besuchen konnte. Die Ranch, 40 Kilometer nördlich von Wibaux, war damals zu abgelegen, Schulbusse gab es noch nicht. Ob die beiden auch, wie so unendlich viele andere, eine Fahne der Vereinigten Staaten vor ihrem Haus haben? »Ja«, sagt Karen. »Aber wir hissen sie nur an Feiertagen, weil es uns zu mühsam ist, sie jeden Abend einzuziehen.« Warum wird die Fahne denn überhaupt von Privatleuten gehisst? Mir ist das sehr fremd. Sie begreift, zögert, lacht ein bisschen verlegen: »Weil wir patriotische Gefühle haben, nehme ich an.« Was heißt das? »Dass wir stolz sind auf unser
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