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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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Angelegenheit gelten, daher empfinde ich derlei Recherchen als Eindringen in die Privatsphäre. Andererseits aber lässt sich ein Faktor schwerlich als »privat« definieren, der einen großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft hat. Ich habe das Dilemma zu lösen versucht, indem ich immer dann, wenn Begegnungen über die öffentliche Veranstaltung des Gottesdienstes hinaus stattfanden, mein Vorhaben ebenso wie bei allen anderen Gesprächen offen benannt habe und besonders darauf achtete, hinsichtlich meiner eigenen Position keinen falschen Eindruck zu erwecken. Mich also nicht in das Vertrauen meines Gegenübers einzuschleichen. Ein Unbehagen blieb dennoch.
    In der Gemeinde Beach mit ihren etwas mehr als 1000 Einwohnern, kurz vor der Grenze nach Montana gelegen, gibt es fünf Kirchen verschiedener christlicher Konfessionen. Zum Vergleich: Im etwa gleich großen niedersächsischen Rethen, dem Geburtsort meines Großvaters, gibt es eine. Ich entscheide mich für einen evangelisch-lutherischen Gottesdienst, die Glaubensrichtung, in der ich selbst erzogen worden bin.
    Die Rituale sind vertraut, die Inhalte sind es auch. Der Gottesdienst ist würdig und unpolitisch. Einziger Hinweis auf Tagesaktualität: Der in den Fürbitten ausgesprochene Wunsch, die Truppen möchten Erfolg haben mit ihrer Aufgabe, Frieden zu stiften im Irak, und heil nach Hause kommen. Unter dem Dach dieser Formulierung können sich Leute ganz unterschiedlicher politischer Überzeugungen zusammenfinden.
    Zufällig werden an diesem Sonntag einige Jugendliche konfirmiert, und hier ist etwas üblich, was ich von zu Hause nicht kenne. Die Konfirmanden erzählen vor ihrer Einsegnung der Gemeinde ein Erlebnis, bei dem sie sich Gott nahe gefühlt haben. »Ich habe mich Gott nahe gefühlt, als ich in den Badlands gecampt habe und beobachtete, wie die Sonne über dem Horizont aufstieg«, sagt Briar Sime. Die Badlands vor der Haustür zu haben: Das muss dazu führen, dass die Natur mit all ihrer Schönheit und mit all ihren Schrecken ganz eng mit dem eigenen Leben und mit dem eigenen Glauben verwoben ist.
    Die Badlands sind in einem der weniger berühmten Nationalparks in den USA gelegen, offiziell benannt nach dem 26. Präsidenten der USA, Theodore Roosevelt, der schon im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ein engagierter Naturschützer war. Es kommen viel weniger Besucher hierher als zum Grand Canyon, in den Yosemite Park oder nach Yellowstone – North Dakota ist eben abgelegen. Dabei ist der Anblick spektakulär: Vor Millionen von Jahren haben Flüsse tiefe Schluchten in den Fels der heute trockenen Landschaft gegraben. Die Ablagerungen der verschiedenen Zeitalter lassen das Gestein in unterschiedlichen Farben leuchten, vor allem frühmorgens und abends vor der Dämmerung: nicht nur grau, sondern auch silbern, rötlich und rosa. Briar ist gewiss nicht der Einzige, der hier ein religiöses Erlebnis hatte.
    In unmittelbarer Nähe der Badlands habe ich auf einer Gästeranch übernachtet. Die meisten der Besucher kommen dorthin, um auszureiten, andere gehen auf die Jagd. »Es sind alles Städter«, sagt Chris spöttisch. Chris und seine Frau Elvira arbeiten seit sieben Monaten auf der Ranch, sie als Köchin, er als »Mann für alles«. Zu seinen Aufgaben gehört es, das erlegte Wild auf die Ranch zu transportieren und es fachgerecht so zu zerlegen, dass die Hobbyjäger es schön portioniert mit nach Hause nehmen können. Wir kommen an der Bar der Gästeranch ins Gespräch. Fast alle Männer tragen große Westernhüte mit riesigen Krempen. Die Frauen hängen sich bei ihren Helden ein und lauschen dem Jägerlatein so bewundernd, als hörten sie es zum ersten Mal. Ganz großes Kino.
    Chris, Elvira und ich haben einander ein paar Mal angegrinst. Es gibt nichts, was Fremde schneller verbindet, als wenn sie sich gemeinsam wortlos über andere Leute lustig machen. Schließlich fragt Chris, was mich denn in diese Gegend verschlagen habe. Ich mag darauf nicht ganz offen antworten. Wenn ich jetzt ein Interview führe, dann ist das Einverständnis zerstört, das ich so genieße, weil es in einer unvertrauten Umgebung ein seltenes und kostbares Glück ist. Stattdessen wird eine Gesprächshierarchie hergestellt. Mein mit mir selbst geschlossener Kompromiss, an den ich mich auch auf der weiteren Reise in ähnlichen Situationen halte: keine Nachnamen.
    Die Antwort, ich wolle drei Monate nur so durchs Land fahren, stellt beide ohnehin völlig zufrieden. Schließlich tun

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