Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
die meisten Familien einfach hiergeblieben und nicht in die Städte abgewandert.
Im Gebäude der Stammesregierung, das gut ausgeschildert ist, werde ich ins Büro des »Secretary of Cultural Education« gebeten, nachdem ich erklärt habe, mehr über das Leben hier erfahren zu wollen. In dem Raum sitzen zwei Frauen und ein Mann. Er beachtet mich nicht, als ich mich vorstelle und mein Anliegen erkläre, sondern arbeitet weiter am Computer. Die eine Frau bedeutet mir, ich solle mich hinsetzen und warten. Das tue ich. Etwa eine Viertelstunde lang. Die zweite Frau hat inzwischen den Raum verlassen. Die erste sitzt mir schweigend gegenüber. Keine Konversation. Schließlich steht der Mann auf, kommt zu mir herüber. »So.« Wir tauschen Visitenkarten aus, er setzt sich hin. Das Ganze kommt mir vor wie ein Spiel. Wenn deutlich gemacht wurde, wer wen wie lange warten lassen kann, dann ist die Hackordnung definiert. Warum hat er das nötig?
Weil er in seinem Leben so oft und so tief gedemütigt wurde, dass er jede Gelegenheit ergreift, um die eigene Bedeutung zu betonen. Niemals ist mir irgendwo sonst auf der Welt eine so tiefe Verbitterung begegnet, nicht einmal in Afrika, wo die Erinnerung an den Kolonialismus noch frisch ist. George Reed, dessen Position in der teilautonomen Stammesregierung mit der eines Ministers zu vergleichen ist, wie er sagt, kommt fast sofort auf seine Kindheit zu sprechen. In der Kleinstadt Hardin, unmittelbar außerhalb der Reservation gelegen, ist der heute 70-Jährige Anfang der Fünfzigerjahre zur Schule gegangen. Jeden Tag ging er damals an der Bar 4 Acres vorbei. Im Fenster stand ein Schild: »Zutritt für Indianer und Hunde verboten.« Das Schild gebe es heute nicht mehr, aber die Feindseligkeit sei geblieben.
»Am liebsten würde ich die Weißen totschlagen«, sagt der Kulturminister. Er scheint Gefallen an seiner Provokation zu finden und bekräftigt: »Ich wünschte, ich hätte schon gelebt, als die Pioniere auf der Mayflower herüberkamen. Ich hätte die Männer getötet und mir die Frauen und Kinder genommen.« George erzählt mir, sein Spitzname sei »Sunny Joe – sonniger Joe«. Besonders treffend gewählt finde ich den nicht.
Als er erst einmal ins Reden kommt, merkt man ihm an, wie froh er ist, dass sich jemand für sein Elend interessiert und bereit ist, ihm zuzuhören. »Dies ist das 21. Jahrhundert, aber die Regierung behandelt uns wie im Mittelalter. Wenn ich mein Land verpachten will, brauche ich eine Genehmigung. Wenn ich einen Kredit bei der Bank aufnehmen will, kann ich es nicht als Sicherheit einsetzen. Also ist es für mich praktisch wertlos.« Warum ist das so? Er schaut mich an und stößt nur ein Wort hervor, schreit es fast heraus: »Rassismus.«
Das ist eine arg schlichte Begründung. Schließlich ist die Rechtslage kompliziert. Das Land gehört ihm nicht nur individuell, sondern es gehört außerdem seinem Volk, also auch seinen Nachfahren. Könnte er es als Sicherheit für einen Kredit einsetzen, dann gehörte es der Bank, falls er den Kredit nicht bedient. Das wäre über kurz oder lang das Ende der Reservationen – und spielte ausgerechnet jenen in die Hände, die ohnehin finden, nun müsse aber langsam mal Schluss sein mit Privilegien für die Indianer.
Aber wenn George Reed von seinen Erfahrungen erzählt, dann verstehe ich, dass er inzwischen alles, was ihm missfällt, unter dem Stichwort »Rassismus« abheftet. Früher habe er selbst etwas Landwirtschaft betrieben. Aber er sei sein Getreide nicht losgeworden – ein weißer Bekannter habe es für ihn verkaufen müssen. Jetzt verpachtet er den Boden für 2000 Dollar im Jahr. An einen weißen Farmer. So war das ja eigentlich auch nicht gedacht.
»Auf dem Papier sind wir eine der reichsten einheimischen Bevölkerungsgruppen in den USA – in der Realität eine der ärmsten. Wir haben Kohle, Öl und Gas, die Eisenbahn führt durch unser Land. Und wir haben nichts davon.« Im Gegenteil, denke ich. Die Crow können noch froh sein, dass man ihnen das Land nicht irgendwann ganz weggenommen hat. Anderen Indianervölkern ist das passiert, als sich ihre Reservationen plötzlich als wertvoll erwiesen. »Die Weißen wollen mit uns nichts zu tun haben. Wir sind nicht Teil ihres Wirtschaftskreislaufs.« Allenfalls einer von zehn Bewohnern des Reservats habe Arbeit. Einige seien im Büro für indianische Angelegenheiten angestellt, andere stellten Kunsthandwerk her, das sie an Touristen verkauften. Die übrigen
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