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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Gaus
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und frei liegenden Gesteinsschichten.«
    Auf einer langen, einsamen Strecke sucht das Auge nach Abwechslung. Was geboten wird: riesige Schilder am Straßenrand gegen Abtreibung. Mit Fotos von entzückenden Babys, erstaunlich anrührenden Ultraschallbildern und Zitaten, die Embryos oder Säuglingen in den Mund gelegt werden und sich an die Mütter richten. So umstritten die Reform des Paragrafen 218 bei uns auch war – mit der aufgeheizten Debatte in den USA lässt sich das kaum vergleichen. Die Nation ist gespalten: Etwa die Hälfte ist »pro life – für das Leben«, die andere Hälfte für »pro choice – für die Wahl«, also für das Recht der Frau, selbst über eine Schwangerschaft zu entscheiden.
    Ich kann verstehen, wenn jemand eine Abtreibung aus ethischen Gründen ablehnt. Weniger nachvollziehbar finde ich, dass die meisten Abtreibungsgegner die Todesstrafe befürworten. Viele derer, die »für das Leben« eintreten, möchten offenbar gerne differenzieren, um welches Leben es geht. Sie halten es nicht in jedem Falle für ein schützenswertes Gut. Einige wenige sind auch der Meinung, dass Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, kein Recht auf Leben haben und dass ihre Patientinnen durchaus gefährdet werden dürfen. Schon häufig hat es Bombenattentate, Mordversuche an Medizinern und Brandstiftung in Abtreibungskliniken gegeben.
    Die große Mehrheit der »pro life«-Aktivisten lehnt solche Methoden allerdings ab – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Merkwürdig, dass die Organisationen es für nötig halten, das eigens zu betonen. Wäre es anders, dann unterstützte die Hälfte der Bevölkerung in den USA individuelle Schwerverbrecher. Das hätte sich herumgesprochen. Viele Abtreibungsgegner halten es allerdings für zulässig, Patientinnen und Personal gegebenenfalls gewaltsam daran zu hindern, eine Klinik zu betreten. Elf Bundesstaaten haben inzwischen Gesetze verabschiedet, die ein solches Vorgehen verbieten. Auch das finde ich erstaunlich. Ich hätte angenommen, das verstünde sich von selbst, ohne dass es dafür eines neuen Gesetzes bedarf.
    Ebenso wie in Deutschland geht es auch in den USA bei der Diskussion über Abtreibung nicht nur um die Güterabwägung zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Selbstbestimmung der Frau. Die Frage ist vielmehr zu einer der Säulen geworden, auf denen ein konservatives – um nicht zu sagen: reaktionäres – Weltbild ruht.
    Der Lastwagenfahrer Harold Patton war für die Todesstrafe und gegen die Abtreibung, ebenso wie der Waffenhändler Rob Osborne. Auf meiner ganzen Reise habe ich nur eine einzige Wählerin der Republikaner getroffen, die von sich aus und ungefragt betonte, sie sei »pro choice«. Die 76-jährige Pat Moynihan aus South Carolina, die meinte: »Natürlich bin ich gegen Abtreibung. Wer ist schon dafür? Aber das sollte niemals ein politisches Thema sein. Sondern eine medizinische, spirituelle und persönliche Frage.« Sie habe während eines Krankenhausaufenthaltes eine junge Frau getröstet, die wegen Bluthochdrucks ihre Schwangerschaft auf ärztlichen Rat hin abgebrochen habe: »Wenn sie gestorben wäre, dann hätte sie drei kleine Kinder hinterlassen.«
    Eine Ausnahme, wie gesagt. Alle anderen republikanischen Gesprächspartner, mit denen ich auf das Thema zu sprechen kam, erklärten sich mit derselben Selbstverständlichkeit zu kompromisslosen Abtreibungsgegnern. Etwa so, wie sie auf Nachfrage gewiss auch bestätigt hätten, dass zwei mal zwei vier ist. Die meisten allerdings auch mit vergleichbar geringer erkennbarer Leidenschaft.
    Die »pro life«-Bewegung stützt sich mehrheitlich auf die christliche Moraltheologie. Nicht alle, aber viele ihrer Anhänger sind evangelikale Fundamentalisten, die ja ohnehin in den USA in den letzten Jahren zunehmend an Macht gewinnen, gefördert auch durch deren präsidialen Vertreter im Oval Office. Ob es denn wirklich so sei, dass die ländlichen Gebiete inzwischen fest in der Hand der Evangelikalen seien, hatte mich eine Freundin in einer Mail gefragt. North Dakota ist der Bundesstaat mit den wenigsten Atheisten und den – gemessen an der Bevölkerung – meisten Kirchen der Vereinigten Staaten. Also ist dies wohl der richtige Ort, um mit etwas anzufangen, was ich sowieso schon lange vorhatte: mit regelmäßigen Gottesdienstbesuchen.
    Recherchen im religiösen Bereich sind mir grundsätzlich unbehaglich. Ich bin geprägt von einer Kultur, in der Glaubensfragen als persönliche

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