Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Land. Auf den idealistischen Teil dessen, wofür die USA stehen: freie Rede, freie Religionsausübung. Was gar nichts an dem ändert, was ich über Gier und Korruption gesagt habe.«
Landauf, landab: Fahnen. Der Stolz auf Amerika. Der Patriotismus. Die Hymne, selbst beim Kleinstadtrodeo ein selbstverständlicher Teil des Programms. Auch der Clown nimmt seinen Hut ab und schaut ergriffen. Aber meinen sie eigentlich alle dasselbe, wenn sie dasselbe sagen?
Wo ich denn als Nächstes hinwolle, fragt mich Karen am Ende unseres Gesprächs. Zum Schlachtfeld am Little Bighorn, dorthin, wo im Juni 1876 verbündete Indianervölker einen letzten großen Sieg über die US-Armee und General Custer errungen haben – und damit ihre endgültige Niederlage und die Zwangsumsiedlung in die Reservate besiegelten. Sie schaut betrübt. Ja, die Situation der Indianer in den Reservaten sei schlimm, und niemand scheine etwas Sinnvolles einzufallen, wie die Lage verbessert werden könne. Alle bisherigen Versuche seien ja gescheitert. Den Indianern sei so viel Unrecht angetan worden. »Es bedrückt mich. Sehr.«
Viele ihrer Landsleute wurden und werden im Blick auf die Vergangenheit nicht von Schuldgefühlen geplagt. Der Schauspieler John Wayne, der das 1971 in einem Interview sogar ausdrücklich betont hat und außerdem erklärte, er sei von der Überlegenheit der weißen Rasse überzeugt, ist fast 30 Jahre nach seinem Tod unverändert populär. Seine Fans sehen in ihm und seinen Rollen die Verkörperung der starken, von amerikanischen Idealen durchdrungenen Führungspersönlichkeit, die in der Zeit der Eroberung des Westens alle Hindernisse und Widerstände überwand. Allerdings hat auch Dustin Hoffman zahlreiche Anhänger, der in dem Film Little Big Man 1970 einen Mann spielte, der bei Weißen und bei Indianern aufgewachsen ist und zeitlebens zwischen den Kulturen stand. Höhepunkt ist eine satirisch verfremdete Darstellung der Schlacht am Little Bighorn, in der George Armstrong Custer als größenwahnsinniger, ja als verrückter General gezeichnet wird.
John Steinbeck machte Halt am Schlachtfeld, um »General Custer und Sitting Bull« die Reverenz zu erweisen. Mit seiner Verneigung vor dem Indianerhäuptling war er seiner Zeit weit voraus. Custer Battlefield hieß der Ort bis 1991, der vom National Park Service verwaltet wird und wo Gedenksteine die genauen Orte bezeichnen, an denen tote Soldaten lagen. Es gibt auch einige wenige Gedenksteine für gefallene Indianer, erkennbar jüngeren Datums. »Seit wann werden Schlachtfelder nach einem Verlierer benannt?«, hatte Karen Teeters sarkastisch gefragt. Die Nachfahren der indianischen Kämpfer fragten sich das auch. Proteste von Indianerorganisationen führten dazu, dass das Gelände heute Little Bighorn Battlefield heißt, und inzwischen werden auch nicht mehr ausschließlich die US-Kavalleristen dort geehrt. 2003 ist ein Denkmal für die indianischen Gefallenen fertiggestellt worden. 127 Jahre nach dem großen militärischen Sieg ihrer Völker.
Die Ausstellung und ein Informationsfilm im Besucherzentrum sollen nun erkennbar versuchen, beiden Seiten gerecht zu werden. Einfach scheint das bis heute nicht zu sein. Alle seien »Gefangene ihrer Zeit gewesen«, heißt es in dem Film: »Alle waren Patrioten auf ihre jeweils eigene Art.« Es ist merkwürdig: Die Trauer über die toten Soldaten ist bis heute spürbar – über die Indianer wird hingegen in einem Ton gesprochen, als seien es Fremde. Respektierte Fremde zwar, aber eben Fremde. Immerhin: Man bemüht sich hier. Bis in alle kleinen Ortschaften hat sich die politische Korrektheit noch nicht herumgesprochen. In Beach hatte ich einen verwitterten historischen Gedenkstein gefunden, auf dem zu lesen stand, General Custer sei 1876 hier ganz in der Nähe vorbeigekommen, »um die feindseligen Sioux zu bezwingen«.
Ironischerweise liegt das Schlachtfeld in der Crow-Reservation, die schon 1851 gegründet wurde – ein Vierteljahrhundert vor dem Gefecht. Etwa 8000 Indianer leben heute auf dem knapp 7800 Quadratkilometer großen Gebiet, einer Fläche, die fast doppelt so groß ist wie der Bundesstaat Rhode Island. Das ist die große Mehrheit der Crow, die in ihrer eigenen Sprache Apsaalooke heißen: Kinder des großschnäbeligen Vogels. Im Unterschied zu anderen Völkern sind sie niemals von ihrem angestammten Land vertrieben worden. Die Reservation liegt in ihrer alten Heimat, in der sie schon Tausende von Jahren gelebt hatten. Deshalb sind
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