Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
befähigen kann.« Taschenuhren und Harfen? Eine Errungenschaft der freien Welt? Erst halte ich sie nur für etwas verschroben. Aber dann kommt Joanne Mangels ins Plaudern und erzählt, dass sie als junge Mutter aus Südkalifornien herkam, um ihre Kinder in der Schule vor »Kriminalität und Gewalt« zu schützen. Auf meine verwirrte Nachfrage, was sie denn meine, setzt sie zunächst den weltweit gleich aussehenden »Ich-will-ja-nichts-gesagt-haben«-Gesichtsausdruck auf. Um dann, wie ebenfalls weltweit üblich, eben doch etwas zu sagen. Leider.
Die Integrationspolitik war das Problem. Plötzlich kamen schwarze Kinder in die »netten Teile der Stadt« und der 7-jährige Sohn ihrer Schwester habe Karate lernen müssen, um sich zu schützen. Sie wolle ja nichts gegen die Neger – »Negroes« – gesagt haben, aber »alle Schulen waren plötzlich gemischt«. Und: »Die Indianer wollen ja auch am liebsten abgeschottet in ihren Reservaten leben, weil sie selbst entscheiden möchten, was gut für ihre Kinder ist.« So kann man die Geschichte der Reservate also auch betrachten.
Mein Widerwille ist größer als mein Interesse. Das ist unprofessionell, natürlich, aber so etwas kommt vor. Joanne Mangels erklärt trotzdem ausführlich, was sie meint: »Die Leute hier mögen die Indianer nicht, weil hier welche leben. In Südkalifornien sind sie ganz vernarrt in die Indianer, da gibt es schließlich keine. Da suchen sie auf ihrer Ahnentafel bis in die vierte Generation zurück und sind beglückt, wenn sie irgendwo auf einen Indianer oder eine Indianerin stoßen.« Mit den Schwarzen sei das ähnlich.
Irgendwann habe ich genug, lächle sie ganz lieb an und sage: »Mein Mann ist übrigens schwarz.« Die Scheidung ist mir vorübergehend entfallen. Joanne Mangels öffnet den Mund. Schließt ihn wieder. Öffnet ihn erneut. Heraus fällt ein gequältes: »Oh. Wie interessant.« Dann sammelt sie sich und holt mit letzter Kraft zum Gegenschlag aus: »Ihr Deutschen habt schließlich die Juden umgebracht.« Interessanter Hinweis an diesem Punkt der Unterhaltung. Ich antworte: »Stimmt. Und dafür schämen wir uns heute.« Das Gespräch endet frostig.
Danach habe ich nichts mehr dagegen, nach Idaho weiterzufahren. Um es vorwegzunehmen: Idaho wird für mich zur größten Überraschung der ganzen Reise. Ich wusste vorher nicht viel über diesen Staat, nur dass dort besonders gute Kartoffeln wachsen. Davon abgesehen schien mir Idaho immer sehr weit hinter den sieben Bergen gelegen zu sein. Wer hier lebt, der muss einfach zu dumm oder zu antriebslos sein, um sich wegzubewegen. Andere Gründe kann es nicht geben, sich in Idaho zu vergraben. Dachte ich.
In der Bar in Post Falls, in der ich am späten Nachmittag eine Kleinigkeit essen will, bestelle ich Kartoffelbrei. Wenn schon, denn schon. Rebecca, die junge Serviererin, erzählt mir, dass die Kartoffeln, die man hier zu normalen Preisen bekomme, gar nicht aus Idaho stammten. Die seien alle für den Export bestimmt. Ganz stimmen kann das nicht – ich werde hier in Supermärkten immer wieder Kartoffeln aus Idaho sehen. Aber ich hätte trotzdem auf die versteckte Warnung hören sollen. Das Püree in dieser Bar ist jedenfalls nicht dazu angetan, den Ruhm der Kartoffel aus Idaho zu mehren.
Meine Enttäuschung darüber ist größer, als der Anlass das eigentlich rechtfertigt. Aber ich habe das amerikanische Essen inzwischen wirklich gründlich satt. Vor einigen Tagen in Montana hatte der Schutzpatron der Reisenden offenbar Mitgefühl mit mir und führte mich – ungeplant und unerwartet – ins Grand Hotel nach Big Timber. Das Hotel darf man sich zu großartig nicht vorstellen. Es stammt aus dem Jahr 1890 und legt vor allem Zeugnis davon ab, dass die Ansprüche an Komfort damals geringer waren als heute. Aber das Menü! Zarteste Entenbrust, ein delikater Salat aus Spinat und Erdbeeren. Am liebsten hätte ich eine Woche hier verbracht. Auch die Freude über diese Mahlzeit war größer, als der Anlass es rechtfertigte.
John Steinbeck schrieb: »In den Speiselokalen an den Landstraßen ist das Essen hygienisch, geschmacklos, farblos und immer absolut gleich gewesen. Es scheint fast, als ob es den Gästen egal wäre, was sie essen, solange es nur keinen Charakter hat, der sie in Verlegenheit bringen könnte.« 1960 schon! Die Sätze beweisen, dass die schönsten Analysen, die man sich ausdenkt, barer Unfug sein können. Ich war überzeugt, dass erst der Siegeszug der Mikrowelle die massenhafte
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