Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
und der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack Obama muss sich von seinem Pastor distanzieren, weil der Ansichten vertritt, die als inakzeptabel radikal gelten. Der Pfarrer im kleinen louisianischen Jennings, in dem ich lande, hat unter seinen Gläubigen keinen Bewerber für das Amt des Präsidenten. Da hat er Glück.
Die Predigt von Jerry Masters gehört nämlich zu den bösartigsten Hetztiraden, denen ich jemals in meinem Leben zuhören musste. Vorgetragen wird sie in einem sanften, mitfühlenden Ton. Die Botschaft ist dennoch unmissverständlich. Wenn jemand Jesus nicht als seinen Retter anerkennt, dann wird er auf ewig in der Hölle schmoren, auf ewig von Gott getrennt sein. Er ist verdammt. Darüber sollte man, wie der Pfarrer betont, »niemals ohne Tränen« sprechen. Es sei ja sehr traurig. Aber eben unvermeidlich. Ganz und gar unvermeidlich. So stehe es nun einmal in der Bibel geschrieben.
Es gebe Leute, so Jerry Masters, die behaupteten, alle Religionen wollten doch im Grunde dasselbe, suchten dasselbe und hätten dasselbe Ziel: »Das ist eine Lüge.« Nicht etwa: das ist ein Irrtum. Oder: falsch. Sondern: eine Lüge. Also eine absichtsvoll böse Tat. Ich stelle mir vor, was in Deutschland oder auch in den USA los wäre, wenn ein muslimischer Prediger öffentlich erklärte, alle Christen und Juden kämen in die Hölle, seien verdammt und es sei eine Lüge zu behaupten, auch sie suchten nach Gott. Allerdings muss man dem baptistischen Pastor lassen: Er erwähnt den Islam und die Muslime nicht ausdrücklich. Das ist auch gar nicht notwendig. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, wer mit dieser Predigt gemeint ist.
Um ihr eigenes Seelenheil scheinen die Gläubigen in der Kirche sich übrigens nicht sorgen zu müssen. Kein einziges Mal werden sie ermahnt, ihr eigenes Verhalten in irgendeiner Hinsicht zu überprüfen, und sie werden auch nicht mit dem konfrontiert, was das Christentum unter einem gottgefälligen Leben versteht. Sehr bequem. Die Selbstzufriedenheit in dieser Kirche ist so dick, dass man sie in Scheiben schneiden könnte. Sie verursacht Atemnot. Bloß weg.
Irgendwann bricht fast jeder Mensch einmal mit seinen Prinzipien. Falls es Menschen gibt, die das nicht tun – würde man sie mögen? Oder auch nur kennen wollen? Ich bin, man merkt es, eifrig dabei, mich von meiner eigenen Verteidigungsstrategie zu überzeugen. Der Anlass: New Orleans. Nur ländliche Gegenden und Kleinstädte wollte ich besuchen. Boston habe ich kühl ignoriert, Seattle links – beziehungsweise rechts – liegen lassen, und ich bin sogar an dem wundervollen SanFrancisco vorübergefahren. In der Nähe von New Orleans ist es vorbei mit meiner Selbstbeherrschung.
Kein Wunder. In Louisiana zu sein und zu versuchen, New Orleans zu umfahren – das ist so, als wolle man den Elefanten im Wohnzimmer ignorieren. In der Hoffnung, dass er dann verschwindet. Alle Straßen, alle Autobahnen, alle Schilder rufen einem unentwegt zu: dahin. Diese Straße bringt Sie nach New Orleans. Alle Wege führen nach Rom? Nach New Orleans führen noch mehr. Wer bin ich, gegen einen Elefanten zu kämpfen? Noch dazu gegen einen, den ich immer schon sehen wollte?
Bedingungslose Kapitulation. Ein kleines Hotel, zentral gelegen, wird übers Internet gebucht, und dann schwänze ich zwei Tage Schule. Es wird ein wunderbarer Kurzurlaub, vielleicht gerade wegen meines schlechten Gewissens angesichts der knapper werdenden Zeit. Schließlich will ich – intellektuelles Motiv – nicht länger brauchen als John Steinbeck für die Umrundung der USA, also insgesamt drei Monate. Und außerdem will ich – persönliches Motiv – an Weihnachten gern zu Hause sein. Das wollte Steinbeck übrigens auch.
Das French Quarter, also das Touristenviertel von New Orleans, ist hinreißend – nicht so französisch, wie die Stadt selbst behauptet, sondern eine bizarre Mischung aus allen möglichen Kulturen. Diese Altstadt ist 2005 von der verheerenden Flut nach dem Hurrikan »Katrina« weitgehend verschont geblieben, weil sie etwas höher liegt als andere Teile der Stadt.
Allerdings entwickle ich hier zum ersten und einzigen Mal während der gesamten Reise antiamerikanische Gefühle. Wenn eine Boutiquen-Besitzerin wehklagt, dass die Teppiche in ihrer Wohnung nicht vom Staat ersetzt wurden, dann bin ich sehr in Versuchung zu fragen, ob nicht gerade sie in dem Land lebt, dessen demokratisch gewählte Regierung meint, die Tüchtigen kämen auch ohne staatliche Hilfe
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