Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
gerade auf Knien. »Na ja, ich habe ihr schon auf den Rücken geklopft.« Aber er will zurück nach Hause. Immer noch. Endlich. »Hier sind meine Wurzeln.« Wer ist denn schuld daran, dass Pointe a la Hache völlig zerstört wurde? »Niemand. Da, wo ich jetzt wohne, da wäre gar nichts passiert, wenn die Dämme hoch genug gewesen wären. Aber hier ist es anders. Hier kann man keine Dämme bauen, die hoch genug sind, um Schutz zu bieten.« Trotzdem findet er es einen ungeheuerlichen Skandal, dass manche Politiker jetzt dafür eintreten, Pointe a la Hache nicht wieder aufzubauen. Selbstverständlich müsse man den Ort zurück auf die Karte bringen. Logik und Gefühl lassen sich manchmal einfach nicht miteinander in Einklang bringen.
Draußen vor dem Kiosk von Don Beshel sitzen Fischer. Alle sind schwarz, alle sind weniger als zehn Kilometer entfernt von hier geboren. Alle leben derzeit in Wohnwagen, die von der staatlichen Nothilfeorganisation FEMA zur Verfügung gestellt worden sind. Alle sind ganz fürchterlich wütend.
Studien hätten ergeben, dass der Formaldehyd-Ausstoß in den staatlichen Wohnwagen gesundheitsgefährdend groß sei. »Deshalb dürfen wir die Trailer nicht kaufen. Aber wohnen können wir darin schon. Was ist das denn – wenn nicht Rassismus?« Spucken sie alle aus, fast gleichzeitig und ohne dass sich die Zitate einem Einzelnen zuordnen ließen. Rassismus ist das große Thema hier.
»300 Fallen und mein Boot habe ich verloren«, sagt Anthony Narcisse. Gar keine Entschädigung habe er dafür erhalten. Warum nicht? Ich halte die Erklärung nicht für hinreichend, das sei eben rassistisch begründet. Es mag sein, dass Weiße in gehobener Stellung andere Weiße gerne bevorzugen. Aber das geschriebene Gesetz lässt wenig Schlupflöcher für Rassisten. Warum hat der Fischer also keine Entschädigung bekommen?
Der 58-Jährige windet sich. Na gut, gibt er schließlich zu. Die Grundlage für Entschädigung sei die Höhe der gezahlten Einkommenssteuer. »Ich habe nie Steuern gezahlt.« Dafür mag er aus seiner Sicht gute Gründe gehabt haben, vielleicht sogar Gründe, die sich mit Diskriminierung und ethnisch begründeten Problemen erklären lassen. Tatsache ist jedoch: Nüchtern betrachtet reden wir über das Problem der Folgen von Steuerhinterziehung. Und eben nicht über Rassismus.
Allen Thomas merkt, dass ich die Argumentation seines Kollegen so überzeugend nicht finde. Er springt ihm bei: »Die Weißen kriegen einfach mehr.« Seine Frau und er seien beide Diabetiker. Ohne Krankenversicherung. »Aus gesundheitlichen Gründen können weder meine Frau noch ich arbeiten.« 169 Dollar bekämen sie jetzt monatlich pro Person. Davon kann man doch nicht leben? Der 54-Jährige lacht auf. » In der Tat nicht. Eigentlich wollten wir nach der Evakuierung im Norden bleiben, aber da sind die Lebenshaltungskosten zu hoch. Deshalb sind wir zurückgekommen. Wir müssen alles selber zahlen – Strom, Medikamente, auch das Benzin, um hierher zum Hafen zu fahren.« Eigentlich könne er es sich nicht einmal mehr leisten, hier seine Freunde zu treffen.
Ein jüngerer Mann gesellt sich zu uns. Mickeria Williams, der 32-jährige Neffe von Allen Thomas. Er arbeitete gerade als Matrose auf einem Mississippi-Frachter, als der Hurrikan zuschlug. »Wir haben immer gewusst, dass es eines Tages passieren würde. Wir wussten nur eben nicht, wann.« Mickerias Großmutter hat durch »Katrina« ihr Haus verloren. »Dieses Haus war der Ort für Familienfeste, das Zentrum für uns. Jetzt ist es weg. Da ist nichts mehr.« Die 73-jährige Großmutter starb ein halbes Jahr nach dem Hurrikan: »Ich glaube, die Aufregung war einfach zu viel. Es war schrecklich für sie, ihr Zuhause zu verlieren und evakuiert zu werden.«
Glaubt auch der Enkel, dass Rassismus bei der Verteilung der Hilfsgüter eine Rolle gespielt hat? Er grinst. »Aber sicher!« Dann differenziert er: »Es ist komplizierter. Die FEMA hat den Überblick verloren. Viele Leute haben nichts bekommen, obwohl sie Anspruch auf Hilfe gehabt hätten. Andere haben etwas gekriegt, obwohl sie gar nichts verloren hatten. Auch Schwarze. Aber eines steht fest: Zu uns ist der Präsident nicht gekommen. Wenn hier nur Weiße gelebt hätten – er wäre gekommen und der Platz wäre längst wieder tipptopp.«
Das ist er nicht. Auf dem Deich liegt das Wrack eines Bootes, das kaum noch als Boot zu erkennen ist. Aus dem durchlöcherten Rumpf wachsen Gräser. Eindrucksvoll, malerisch und
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