Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
alle zufällig feststellen, dass wir Kalifornien nicht besonders gut leiden können. Die Kellnerin hat dort als Kind gelebt und ist heilfroh, jetzt hier zu sein. Die Kalifornier seien fürchterlich arrogant. Jay Bothne stimmt zu: »Kalifornien ist deshalb schrecklich, weil all die Leute hingezogen sind, die sonst wirklich nirgendwo hinpassten – und dann war da eben nichts mehr. Nur noch der Ozean.« Dieser Witz ist ein sehr alter Bekannter. Aber wir mögen diesen Bekannten gerne und lachen deshalb dankbar.
Der 42-jährige Computerfachmann und seine Freundin Theresa Schmidt sind Texaner aus Leidenschaft. »Die kleinen Städte sind das Beste hier«, sagt die 36-Jährige. »Die Leute hier sind so ehrlich, so direkt. Sie kümmern sich um ihre Nachbarn. Man hilft einander in Texas.« Ich muss an Shere Agnew denken, deren Söhne sie an Thanksgiving alleine gelassen haben und die ins Café gegangen war, weil dessen Betreiber an diesem Tag alle Stammgäste aufforderten, Essen mitzubringen und gemeinsam zu feiern. Verdienen lässt sich an so einer Veranstaltung nichts, und Werbung hat eine konkurrenzlose Kneipe am Ort nicht nötig. Vielleicht stimmt es einfach, dass Texaner nett sind.
Jedenfalls verbringe ich einen langen, schönen Abend mit Jay und Theresa. Die den wachsenden Einfluss konservativer Massenmedien auf das politische Klima mit Sorge betrachten. Bessere Sozialleistungen für die Unterschicht fordern. Von politischer Korruption und Stimmenfang reden. Noch nicht wissen, ob sie überhaupt zur Wahl gehen werden. Die mächtigen Lobbygruppen im Land verhinderten ohnehin, dass sich irgendetwas ändere. »Das Ganze ist doch nicht mehr als eine sehr teure Unterhaltungsshow«, meint Jay.
Wir unterhalten uns prächtig, blödeln herum, mögen einander. Aber noch immer habe ich keine weiteren Wähler des amtierenden US-Präsidenten getroffen. Wenn eine Reporterin ihre Begegnungen nicht plant, sondern dem Zufall überlässt, dann besteht die Gefahr, dass sie ihre Gesprächspartner unbewusst zu sehr nach eigenen Sympathien auswählt. Lässt sich so etwas korrigieren?
Ja. Man kann den sogenannten Zufall herbeizwingen und beschließen: In der nächsten Kleinstadt wird die erste Gaststätte aufgesucht, die links an der Straße liegt, und dann drängt man fremden Leuten die eigene Gesellschaft auf. Es trifft Linda‘s Kitchen in Lexington, etwa 80 Kilometer westlich von Austin. Am einzigen besetzten Tisch sitzen eine weiße Frau und vier Männer. Drei Weiße, ein Schwarzer – eine ungewöhnliche Zusammensetzung. Nur sehr selten habe ich Schwarze und Weiße gemeinsam in vertrauter, größerer Runde gesehen. Wenn überhaupt, dann waren sie allenfalls zu zweit, und meist sahen sie aus wie Geschäftspartner. Aber jetzt geht es mir gerade nicht um Rassenfragen. Ich bin in einer anderen Mission unterwegs.
Alle in Linda´s Kitchen laden mich freundlich ein, am Gespräch teilzunehmen, als ich behaupte, mich allein zu langweilen. Sie haben auch nichts dagegen, ein bisschen über Politik zu reden. Der Irakkrieg? Entsetzt verdrehen sie die Augen. Ein furchtbarer Fehler. George W. Bush? Das Entsetzen wächst. Niemand hier will ihn je gewählt haben. Sie sind überzeugte Demokraten. Diesen Selbstversuch muss man wohl als gescheitert betrachten. Ich gebe auf. Dann halt nicht. Sollen die texanischen Bush-Anhänger doch unter sich bleiben. Auf nach Louisiana.
Dort besuche ich zunächst wieder einmal einen Gottesdienst, dieses Mal den einer baptistischen Gemeinde in der Kleinstadt Jennings. Zum ersten Mal fällt mir auf: Auch meine gänzlich zufällige Auswahl von Kirchen ändert nichts daran, dass ich stets nur gemeinsam mit anderen weißen Gläubigen bete. Mag sein, dass Schwarze und Weiße inzwischen auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Zur Schule gehen. Sie heiraten ja auch, gelegentlich. Aber offenbar wird selbst dann immer noch getrennt gebetet.
Einige Wochen später suche ich in Georgia gezielt eine Kirche auf, die in einem schwarzen Wohnviertel liegt. Aber dort fühle ich mich als Eindringling und als Religionstouristin. Ich verlasse den Gottesdienst, und eine Frau, die am Eingang einige Nachzügler begrüßt, nickt zustimmend und verständnisvoll, als ich auf ihre entsprechende Frage hin erkläre, ich wolle nicht stören. Sie unternimmt keinen Versuch, mich aufzuhalten.
Ein knappes halbes Jahr später wird die Frage danach, was eigentlich in den »schwarzen Kirchen« des Landes los ist, eine große Rolle im Vorwahlkampf spielen,
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