Auf der Suche nach dem Auge von Naga: Roman (German Edition)
verlassen. Dann lenkte etwas Rotes, das kurz aufblitzte, seine Aufmerksamkeit an die Decke. Zu seinemGrauen sah er, dass der Dichter sich dort oben befand, flach dagegengepresst, umgarnt von Schlingpflanzen.
»Algy!«, rief er, aber sein Freund war erschlafft und bewusstlos. Burton sah einen dornigen Fortsatz, der sich seitlich an den Hals seines zierlichen Freundes presste. Er wirbelte zu Rigby herum und brüllte: »Lassen Sie ihn los, verdammt!«
Plötzlich stob aus dem Mund des Konsuls eine dichte Insektenfontäne, die in die Luft spritzte und auf dem Schreibtisch, auf dem Boden und auf Burton landete. Der Kopf hob sich langsam und knarrend in aufrechte Position.
»Sie!«, flüsterte Rigby. Seine Stimme raschelte wie Laub, das von einer Brise aufgewirbelt wird. »Ich habe lange gewartet.«
»Lassen Sie ihn los!«, wiederholte Burton. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Rigby!«
»Ich will Ihre Hilfe nicht, Burton. Ich will nur Ihr Blut!«
Von oben fiel eine Liane herab und wickelte sich um den Hals des Entdeckers. Als Burton klar wurde, dass er immer noch seinen Dolch in der Hand hielt, hob er ihn, durchschnitt die Schlingpflanze und zog sie von seiner Haut.
»Zeppelin hat Ihnen das angetan, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ein Preuße, Rigby! Er arbeitet gegen das Empire, und ich bin geschickt worden, um ihn aufzuhalten. Sie sind Brite, Mann! Tun Sie Ihre Pflicht! Helfen Sie mir!«
»Ginge es um jemand anderen, Burton, würde ich nicht zögern. Aber bei Ihnen – niemals! Lieber sterbe ich als Verräter, ehe ich Ihnen helfe!«
Blättrige Ranken schlangen sich um Burtons Waden. Er spürte, wie Dornen seine Hosenbeine durchstießen und in seine Haut stachen. Hastig duckte er sich, als ein stacheliger Fortsatz an seinem Gesicht vorbeipeitschte.
Es blieb keine Zeit für Überredungskunst, keine Zeit für Diskussionen. Swinburne wurde ausgeblutet, und jeden Moment würde Burton überwältigt, wenn er sich nicht wehrte. Er stießden Dolch in seine Laterne, riss deren Seite auf und stach mit der Spitze der Waffe in den Ölbeutel. Flüssigkeit spritzte heraus und entzündete sich augenblicklich.
»Nicht!«, stieß der Konsul hervor.
»Ich habe Ihre Eifersucht und Feindschaft zu viele Jahre ertragen, Rigby. Hier und jetzt endet es.«
Burton schleuderte die brennende Laterne auf den Schreibtisch. Sogleich schwappte das lodernde Öl daraus hervor, und die zundertrockene Pflanze fing jäh Flammen, die den Agenten des Königs zurücktaumeln ließen. Die Ranken um seine Beine brachten ihn zum Stolpern. Dann aber glitten sie davon und zuckten wild hin und her.
Swinburne prallte schwer auf den Boden. Burton kroch auf Händen und Knien zu ihm. Er spürte, wie das sich ausbreitende Inferno die Haare an seinem Hinterkopf versengte. Rigbys Schreie hallten ihm in den Ohren, als er die Ranken von dem Dichter wegriss, ihn am Kragen packte und durch die wuselnden Insekten aus dem Zimmer schleifte.
Das Feuer griff beängstigend schnell um sich. Es züngelte über die Wände und die Decke, toste an den beiden Männern vorbei und füllte den Gang mit sich kräuselnden, schwarzen Rauchschwaden.
Mit angehaltenem Atem und in geduckter Haltung erreichte Burton den Kopf der Treppe und stürzte die Stufen hinunter. Er rollte auf den Leichnam, der am Absatz lag. Dann prallte Swinburne auf ihn, und zu dritt stürzten sie die restlichen Stufen hinunter, wobei die Gliedmaßen der Leiche wie trockene Zweige brachen.
Ein lodernder Dachbalken krachte auf den Treppenabsatz, den sie soeben verlassen hatten. Funken und brennende Holztrümmer spritzten auf sie.
Burton rappelte sich auf, hievte sich Swinburne über die Schulter und taumelte durch die Eingangshalle, hinaus auf den Hof und durch das Tor des Konsulats. Erst dann drehte sich um undblickte zurück. Das Gebäude ließ sich nicht mehr retten, so viel stand fest. Und Christopher Rigby, der Burton zwei Jahrzehnte lang unerbittlich gehasst hatte, wurde darin eingeäschert.
Burton verspürte keine Genugtuung.
Er trug Swinburne zurück zum Palast des Imams.
*
Früh am nächsten Tag warfen an der ostafrikanischen Küste unterhalb von Sansibar zwei Schiffe den Anker vor einer langen, von Sträuchern bewachsenen Sandbank etwa zwanzig Meilen südlich der für ihren Elfenbein- und Koprahandel bekannten Ortschaft Bagamoyo.
Die Artémis und die Ann Lacey ließen ihre Boote zu Wasser und begannen mit der langwierigen Aufgabe, Menschen, Maultiere, Pferde und Vorräte aufs Festland
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