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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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entsprach, da sein Verlangen ja gerade immer in einem seinen ästhetischen Neigungen ganz entgegengesetzten Sinn ausgerichtet war. Die Bezeichnung »florentinisches Meisterwerk« erwies Swann einen überaus großen Dienst. Sie erlaubte ihm, Odettes Bild in eine Welt der Träume hineinzunehmen, zu der es bislang keinen Zugang gehabt hatte und in der es eine Veredelung erfuhr. Und während der rein körperliche Aspekt, unter dem ihm diese Frau erschienen war, seine Zweifel hinsichtlich der Vorzüge ihres Gesichts, ihres Körpers, ihrer Schönheit schlechthin unaufhörlich von neuem genährt und seine Liebe abgeschwächt hatte, wurden diese Zweifel hinfällig und seine Liebe befestigt, als sie sich auf die Gegebenheiten einer gesicherten Ästhetik stützen konnte, ganz zu schweigen davon, daß Kuß und Umarmung, die nur als etwas Natürliches und Mittelmäßiges erscheinen, wenn eine Frau mit welkenden Reizen sie gewährt, nun, wo sie zur Krönung der anbetenden Bewunderung für ein Museumsstück wurden, für ihn etwas Übernatürliches und Köstliches bekamen.
    Wenn er sich versucht fühlte zu bedauern, daß er seit Monaten nichts anderes mehr trieb, als sich mit Odette zu treffen, sagte er sich jedesmal, daß er recht hatte, seine Zeit einem unschätzbaren Kunstwerk zu widmen, das einmal ausnahmsweise aus einem anderen und besonders ansprechenden Stoff gefertigt war, ein äußerst seltenes Exemplar, dem er bald mit der Demut, dem rein geistigen Interesse und der Selbstlosigkeit des Künstlers, bald mit dem Egoismus, dem Stolz und der Begehrlichkeit des Sammlers huldigte.
    Wie eine Photographie von Odette stellte er auf seinem Arbeitstisch eine Reproduktion der Tochter Jethros auf. Er bewunderte die großen Augen, das zarte Gesicht, das auf die Unvollkommenheit der Haut schließen ließ, das Haar, das in herrlichen Locken an den müden Wangen niederglitt, und indem er das, was er bislang im rein ästhetischen Sinne schön gefunden hatte, auf die Vorstellung von einer lebenden Frau übertrug, machte er körperliche Vorzüge daraus, die in einem Wesen vereinigt zu finden, das er besitzen konnte, er sich beglückwünschte. Aus der unbestimmten Sympathie, die uns zu einem Meisterwerk hinzieht, das wir betrachten, wurde nun, da er das fleischgewordene Original der Tochter Jethros kannte, ein Verlangen, wie es Odettes Körper ihm zunächst nicht hatte einflößen können. Wenn er den Botticelli lange genug betrachtet hatte, dachte er an seinen Botticelli, den er noch schöner fand, und während er die Photographie der Sephora näher an sich heranzog, glaubte er, Odette ans Herz zu drücken.
    Indessen bemühte er sich nicht nur der Überdrüssigkeit Odettes vorzubeugen, sondern manchmal auch seiner eigenen; er hatte das Gefühl, daß Odette, seitdem es ihr so leicht gemacht war, ihn zu sehen, ihm eigentlich nicht viel mitzuteilen hatte; er fürchtete, daß die nach und nach recht nichtssagend, einförmig und starrgewordene Art ihres Zusammenseins schließlich die romantische Hoffnung auf jenen Tag ersterben lassen könnte, wo sie ihm ihre Leidenschaft, die allein ihn verliebt gemacht und erhalten hatte, erklären würde. Und um Odettes allzu starr gewordene seelische Physiognomie, von der er fürchtete, sie möchte ihn schließlich ermüden, etwas aufzufrischen, schrieb er ihr plötzlich einen Brief voll erfundener Enttäuschungen und geheucheltem Groll, den er ihr vor dem Abendessen in ihr Haus bringen ließ. Er wußte, daß sie darüber erschrekken und ihm antworten würde, und hoffte, daß unter dem Druck der Furcht, sie könne ihn verlieren, ihrer Seele Worte entströmen würden, wie sie sie ihm noch niemals gesagt hatte; – und tatsächlich war er auf diese Weise zu den zärtlichsten Briefen gekommen, die sie ihm überhaupt jemals schrieb, von denen der eine, den sie ihm um die Mittagszeit aus der Maison Dorée 1 geschickt hatte (es war an dem Tag des Paris-Murcia-Festes zugunsten der Hochwassergeschädigten von Murcia 2 ), mit den Worten begann: »Lieber Freund, meine Hand zittert so sehr, daß ich kaum zu schreiben vermag«; er hatte ihn im gleichen Fach aufbewahrt wie die verdorrte Chrysanthemenblüte. Oder wenn sie keine Zeit fände, ihm zu schreiben, so würde sie, wenn er bei den Verdurins erschiene, sofort auf ihn zukommen und sagen: »Ich muß mit Ihnen sprechen«, und er würde voller Neugier auf ihrem Gesicht und in ihren Worten zu erfassen suchen, was sie ihm bisher von ihrem Herzen verborgen hatte.
    Schon

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