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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
Vom Netzwerk:
Whitston Publishing Company, 1981.
    54. Warning, Rainer: »Supplementäre Individualität. Prousts ›Albertine endormie‹«, in: Individualität , Hg. Manfred Frank und Anselm Haverkamp, München, Wilhelm Fink Verlag, 1988; jetzt auch in: Warning, Rainer: Proust-Studien , München, Wilhelm Fink Verlag, 2000.
    55. Yoshikawa, Karuyoshi: »Vinteuil ou la genèse du Septuor«, Cahiers Marcel Proust 9, Paris, Gallimard, 1979.

MARCEL PROUST
AUF DER SUCHE
NACH DER
VERLORENEN ZEIT 6
DIE FLÜCHTIGE
    SUHRKAMP

Originaltitel:
    À la recherche du temps perdu.
    La Fugitive
    Aus dem Französischen übersetzt von Eva Rechel-Mertens;
    revidiert von Luzius Keller und Sybilla Laemmel.

    ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010
© für diese deutschsprachige Ausgabe
Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1994
Alle Rechte vorbehalten

www.suhrkamp.de
eISBN 978-3-518-74260-0

DAS DINER VILLEPARISIS IN DER FASSUNG VON 1919

    »Mme de Villeparisis à Venise«, erschienen in Le Matin vom 11. Dezember 1919:

    In den letzten Tagen unseres Aufenthalts in Venedig dinierten wir des öfteren, da wir Madame Sazerat angetroffen hatten, in anderen Hotels als dem unsrigen. Wir wollten ihr nämlich etwas Abwechslung und etwas Luxus bieten. Mama hatte mir erzählt, was sie mir in Combray verschwiegen hätte, als sie mir Les Maîtres Sonneurs und François le Champi vorlas und dabei – sogar in diesen Werken – beträchtliche Kürzungen vornahm; sie hatte mir erzählt, daß Madame Sazerat sozusagen ruiniert war, weil ihr Vater, Monsieur de Portef in, sich (das lag mehr als vierzig Jahre zurück) in die Herzogin von Havré verliebt hatte, die ihm nach und nach alles, was er besaß, abgenommen und ihn schließlich, als seine letzten Pachtzinsen aufgezehrt waren, verlassen hatte.
    Als wir nun eines Abends Madame Sazerat in ein neues Hotel ausführten, wo wir einen kleinen Salon reserviert hatten, wollte ich, während meine Mutter den Gondoliere auszahlte, einen Blick 1 in den großen mit schönen Marmorpfeilern geschmückten und vormals ganz und gar mit jetzt leider schlecht restaurierten Fresken ausgestatteten Speisesaal des Hotels werfen. Zwei Kellner unterhielten sich in einem Italienisch, das ich hier übersetzt wiedergebe:
    »Essen die beiden Alten auf ihrem Zimmer? Sie geben niemals vorher Bescheid. Es ist unerträglich, ich weiß nie, ob ich ihnen den Tisch reservieren soll (›non so se bisognaconservar loro la tavola‹). Nun, es geschieht ihnen ganz recht, wenn sie herunterkommen und ihn nicht mehr frei finden! Ich verstehe nicht, daß man forestieri wie die in einem so eleganten Hotel aufnimmt. Das sind doch Leute, die nicht hierhergehören.«
    Trotz seiner Nichtachtung hätte der Kellner gern gewußt, wie er es mit dem Tisch halten sollte, und so wollte er den Liftboy beauftragen, er solle sich auf der Etage danach erkundigen, als ihm, bevor er dazu noch Zeit gefunden hatte, auch schon eine Antwort zuteil wurde: er bemerkte, wie die alte Dame den Speisesaal betrat. Trotz der Miene von Trauer und Müdigkeit, die die Last der Jahre einem Gesicht mitteilt, und ungeachtet einer Art von Ekzem, einem roten Ausschlag, der das ihre bedeckte, hatte ich keine Mühe, unter ihrem Kapothut und in ihrem losen schwarzen Kleid, das bei W. gearbeitet war, aber für Uneingeweihte dem Hauskleid einer alten Portiersfrau glich, die Marquise von Villeparisis zu erkennen.
    »Dann kommt sicher auch gleich Monsieur de Villeparisis. Sie sind jetzt vier Wochen hier, aber noch nicht einmal hat einer von ihnen allein gespeist«, stellte der Kellner fest.
    Ich fragte mich, wer derjenige ihrer Verwandten sein mochte, mit dem sie reiste und den man Monsieur de Villeparisis nannte, doch ein paar Sekunden später erkannte ich, als er auf den Tisch zuschritt und neben ihr Platz nahm, ihren alten Liebhaber, Monsieur de Norpois. Sie wahrte während einiger Minuten das Schweigen einer alten Frau, der es infolge der Müdigkeit des Alters schwerfällt, sich aus der Erinnerung an die Vergangenheit von neuem zur Gegenwart zu erheben. Dann, mit schwacher, aber gebieterischer Stimme diese Fragen, in denen eine gegenseitige Liebe spürbar blieb:
    »Sind Sie bei Salviati vorbeigegangen?«
    »Ja.«
    »Werden sie morgen liefern?«
    »Ich habe die Schale selbst mitgebracht. Nach dem Essen werde ich sie Ihnen zeigen. Sehen wir einmal, was es gibt.«
    »Als Vorspeise gibt es Rotbarbe; nehmen wir die?«
    »Ich ja, aber Ihnen ist das, wie Sie wissen, verboten. Sie könnten Risotto nehmen, sie machen

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