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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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von Versailles eine Bittschrift übergeben hatte.
    Eines Sonntags, als meine Tante gleichzeitig den Besuch Eulalies und des Pfarrers gehabt und daraufhin geruht hatte, waren wir alle zu ihr hinaufgegangen, um ihr gute Nacht zu sagen, und meine Mutter hatte ihr dabei ihre Anteilnahme daran bezeugt, daß unglücklicherweise so häufig ihre Besucher zur selben Stunde erschienen:
    »Ich weiß, Léonie, heute hat es sich wieder schlechtgemacht«, sagte sie freundlich zu ihr, »es waren ja alle auf einmal da.«
    »Des Guten hat man nie zuviel«, mischte sich meine Großtante ein, denn seitdem ihre Tochter krank war, glaubte sie sie immer dadurch aufrichten zu müssen, daß sie ihr alle Dinge von der besten Seite darstellte. Gleichzeitig aber ergriff mein Vater das Wort:
    »Ich möchte diesen Augenblick benutzen, wo wir alle zusammen sind, und euch etwas erzählen, was ich sonst immer wieder von neuem berichten müßte. Ich fürchte, wir haben Legrandin irgendwie verstimmt: er hat mir heute morgen kaum guten Tag gesagt.«
    Ich blieb nicht da, um meinem Vater zuzuhören, denn ich war nach der Messe gerade dabeigewesen, als wir Legrandin trafen; statt dessen ging ich hinunter in die Küche, um zu fragen, was es zum Abendessen gebe; das unterhielt mich täglich in einer ähnlichen Weise wie andere die Nachrichten in der Zeitung und regte mich zugleich wie ein Festprogramm an. Da Legrandin beim Verlassen der Kirche nahe an uns vorbeigegangen war an der Seite einer Schloßherrin aus der Nachbarschaft, die wir nur vom Sehen kannten, hatte mein Vater ihn gleichzeitig freundschaftlich und mit einer gewissen Zurückhaltung gegrüßt, ohne stehenzubleiben; Legrandin hatte den Gruß kaum erwidert, sondern uns nur mit eher erstaunter Miene, so als erkenne er uns nicht, und mit jener merkwürdigen Ferne im Blick angeschaut, wie Leute sie an sich haben, die nicht liebenswürdig sein wollen und aus einer plötzlich weiter zurückgerückten Tiefe ihrer Pupillen einen nur am äußersten Punkt eines endlosen Weges in so großer Ferne zu sehen scheinen, daß sie sich mit einem schwachen Kopfnicken begnügen, wie ihnen das unseren puppenhaften Dimensionen angemessen erscheint.
    Die Dame aber, die Legrandin begleitete, war einehöchst tugendhafte und angesehene Persönlichkeit; es war ausgeschlossen, daß es sich um eine Liebesangelegenheit handelte, bei der er nicht ertappt werden wollte, und mein Vater fragte sich, wodurch er Legrandin gekränkt haben könnte. »Ich würde es um so mehr bedauern«, sagte mein Vater, »als er inmitten aller dieser sonntäglich aufgeputzten Leute mit seinem einfachen Rock und der weichgebundenen Krawatte so adrett und schlicht, fast jugendlich naiv und wirklich recht sympathisch aussah.« Der Familienrat aber befand einmütig, daß mein Vater sich das Ganze eingebildet haben müsse oder daß Legrandin in dem Augenblick eben in Gedanken gewesen sei. Zudem wurden die Befürchtungen meines Vaters schon am nächsten Abend zerstreut. Als wir von einem großen Spaziergang zurückkamen, bemerkten wir in der Nähe des Pont-Vieux Legrandin, der wegen des Festes für mehrere Tage in Combray geblieben war. Mit ausgestreckter Hand trat er auf uns zu: »Nun, mein geschätzter Herr Leseratz«, sagte er zu mir, »kennen Sie auch den Vers von Paul Desjardins:

    Les bois sont déjà noirs, le ciel est encor bleu. 1

    Die Wälder sind schon schwarz, der Himmel ist
    noch blau.

    Drückt er nicht genau das Wesen dieser Stunde aus? Sie haben vielleicht Paul Desjardins nie gelesen. Lesen Sie ihn aber, mein Sohn; er scheint jetzt, so höre ich wenigstens, eine Wandlung zum Moralprediger durchzumachen, aber lange Zeit war er ein Maler duftiger Aquarelle …

    Les bois sont déjà noirs, le ciel est encor bleu …

    Möge der Himmel ewig blau sein für Sie, junger Freund; und selbst, wenn die Stunde naht, wie sie es für mich jetzt tut, wo die Wälder schon schwarz sind und die Nacht schnell hereinbrechen kann, werden Sie sich immer damit trösten, nicht wahr, so wie ich es tue, daß Sie nach dem Himmel blicken.« Er nahm eine Zigarette aus der Tasche und blieb, die Augen auf den Horizont gerichtet, noch eine Weile stehen. »Freunde, ade«, sagte er dann und ließ uns plötzlich stehen.
    Zu der Stunde, da ich hinunterging, um mich nach dem Küchenzettel zu erkundigen, waren die Vorbereitungen für das Abendessen schon im Gange, und Françoise, den hilfreichen Kräften der Natur gebietend wie in den Märchenspielen, in denen Riesen sich

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