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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Titel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - Proust, M: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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Weißdorns war dieses aussetzende und wiederkehrende starke Duften wie das Weben seines intensiven Lebens, von dem der Altar zu beben schien wie eine ländliche Hecke unter lebendig tastenden Fühlfäden, an die man beim Anblick mancher beinahe rotblonder Staubgef äße dachte, die das frühlingshafte Überschäumen und die aufreizende Kraft von Insekten zu haben schienen, die jetzt in Blüten verwandelt waren.
    Beim Verlassen der Kirche plauderten wir einen Augenblick mit Vinteuil vor dem Portal. Er mischte sich in die Balgereien der Buben auf dem Platz ein, ergriff die Partei der Kleinen und schalt die Großen aus. Wenn dann seine Tochter mit ihrer kräftigen Stimme uns sagte, sie habe sich so gefreut, uns zu sehen, schien es gleich darauf, als erröte eine empfindlichere Schwester in ihr überdiese eher einem leichtfertigen, gutherzigen jungen Mann anstehende Äußerung, die uns etwa glauben machen könnte, sie lege es darauf an, zu uns eingeladen zu werden. Ihr Vater warf ihr einen Mantel um die Schultern, sie stiegen in einen kleinen Buggy 1 , den sie selber lenkte, und dann kehrten beide nach Montjouvain zurück. Da am folgenden Tag Sonntag war und wir erst rechtzeitig zum Hochamt aufstehen würden, machten wir selbst jedoch, vorausgesetzt daß der Mond schien und es warm genug war, anstatt unmittelbar heimzukehren, unter der Führung meines nach Ruhm strebenden Vaters einen langen Spaziergang über den Kalvarienberg, was meiner Mutter infolge ihrer geringen Fähigkeit, sich zu orientieren und den richtigen Weg zu finden, wie die Großtat eines strategischen Genies vorkam. Manchmal gingen wir bis zum Viadukt, dessen Steinbögen beim Bahnhof begannen und für mich ein leibhaftiges Symbol der Verbannung und Not außerhalb der zivilisierten Welt darstellten, denn jedes Jahr, wenn wir aus Paris kamen, legte man uns nahe achtzugeben, wann Combray käme, die Station nicht zu verpassen und im voraus zum Aussteigen bereit zu sein, fuhr doch der Zug schon nach zwei Minuten weiter und verließ über den Viadukt den Bezirk, den noch Christenmenschen bewohnten und dessen äußerster Punkt für mich Combray war. Wir kamen über den Boulevard de la Gare zurück, wo die hübschesten Villen des Ortes standen. In jedem Garten streute der Mondschein à la Hubert Robert zerbrochene Stufen aus weißem Marmor, Springbrunnen und halboffene Parktore aus. Sein Schimmer hatte das Telegraphenbüro zum Verschwinden gebracht. Es blieb davon einzig eine geborstene Säule übrig, die die ganze Schönheit einer unsterblichen Ruine in sich trug. Ich schleppte schwer meine Füße, fiel um vor Müdigkeit, der Duft der Lindenbäume kam mirwie eine Belohnung vor, die einem nur um den Preis großer Mühen zuteil wurde und diese eigentlich nicht lohnte. Hinter Hoftoren, die weit voneinander entfernt lagen, ließen Hunde, die unsere einsam verhallenden Schritte aufgeweckt hatten, abwechselnd ihr Bellen ertönen, wie ich es jetzt noch öfter abends höre; und irgendwie muß wohl der Boulevard de la Gare (als man später an seiner Stelle die öffentlichen Anlagen von Combray schuf) in dieses Bellen eingegangen sein, denn, wo ich auch bin, sobald Hundegebell ertönt und aus der Ferne beantwortet wird, sehe ich ihn mit seinen Linden und dem mondbeschienenen Bürgersteig.
    Plötzlich blieb mein Vater dann stehen und fragte meine Mutter: »Wo sind wir?« Erschöpft von der Wanderung, aber stolz auf ihn, gestand meine Mutter zärtlich zu ihm aufblickend, daß sie es überhaupt nicht wisse. Er zuckte die Achsel und lachte. Dann aber wies er, als habe er es mit seinem Schlüssel aus der Westentasche gezogen, auf das rückwärtige Pförtchen unseres Gartens unmittelbar vor uns hin, das mit der Ecke der Rue du Saint-Esprit am Ende dieser unbekannten Wege uns erwartet hatte. Meine Mutter bewunderte ihn: »Du bist fabelhaft!« Von diesem Augenblick an brauchte ich keinen Schritt mehr zu machen, der Boden lief von allein unter meinen Füßen weg in diesem Garten, in dem längst schon alles, was ich tat, von keiner bewußten Aufmerksamkeit mehr begleitet wurde. Die Gewohnheit nahm mich in ihren Arm und trug mich bis in mein Bett wie ein kleines Kind.

    Wenn der Samstag, der eine Stunde früher begann und an dem meine Tante auf Françoise verzichten mußte, langsamer als andere Tage für sie verging, so erwartete sie doch ungeduldig schon von Anfang der Woche an seine Wiederkehr, da er gerade das Maß an Neuheit undZerstreuung mit sich brachte, das ihr

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