Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)
eröffneten. Ganz Italien war erschüttert, als 1992 diese heroischen Kämpfer, ihre Ehefrauen und Leibwächter blutigen Attentaten zum Opfer fielen. Einige erklärten, sie schämten sich, Italiener zu sein. Die Reaktionen waren so heftig, dass der Staat gezwungen war, endlich zu handeln. Sogar der polnische Papst Johannes Paul II., der viel zu lange gezögert hatte, verurteilte die Mafia bei einem Pastoralbesuch in Sizilien 1993. In den folgenden drei Jahren wurden Tausende Mafiosi verhaftet, unter ihnen der Boss Totò Riina. Die Zahl der Mordopfer ging erheblich zurück. Zum einzigen Mal in der Geschichte der Italienischen Republik schien die Mafia endgültig besiegt.
Die sizilianische Mafia stand im Ruf, eine ganz besonders brutale, geheime und effiziente Organisation zu sein. Doch es gab in Süditalien noch weitere. Kalabrien hatte die ‘Ndrangheta, die nicht weniger skrupellos vorging, und Apulien die Sacra Corona Unita, gegen die die Staatsanwaltschaft Bari mit einigem Erfolg kämpfte. Am mächtigsten jedoch war die neapolitanische Camorra, die wie die sizilianische Cosa Nostra enge Verbindungen zu den Christdemokraten pflegte. Zu ihren »Freunden« zählte Antonio Gava, der »Vizekönig von Neapel«, der in den achtziger Jahren mehrere Ministerposten bekleidete. Unter anderem war er Innenminister und damit offiziell der oberste Kämpfer gegen das organisierte Verbrechen. Später versuchte er 13 Jahre lang – am Ende mit Erfolg –, sich vom Vorwurf der associazione mafiosa , der Zugehörigkeit zur Mafia, reinzuwaschen. Damals stand die Camorra der sizilianischen Mafia in blutigen Gewalttaten nicht nach. Insgesamt ermordeten sie durchschnittlich 500 Menschen pro Jahr, doch dann wurde die Camorra größer, reicher, mächtiger, brutaler und korrupter als ihr sizilianisches Pendant. In den 13 Jahren nach 1991 wurden 71 Stadtverwaltungen in Kampanien wegen Unterwanderung durch die Camorra aufgelöst. In den 26 Jahren bis 2005 tötete das »System«, wie die Camorra sich selbst nannte, 3600 Menschen. *330
Der italienische Staat hatte den Wohlstand seiner Bürger gefördert, aber in seiner Aufgabe versagt, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen und das Leben seiner Beamten zu schützen. Politik, Wohlstand und Korruption schienen Hand in Hand zu gehen, nicht nur in den Regionen, in denen die Mafia und die Camorra ihre Tentakel ausstreckten. Ende der siebziger Jahre trat ein Staatspräsident (Giovanni Leone) wegen Korruption von seinem Amt zurück, und ein ehemaliger Verteidigungsminister (Mario Tanassi) kam hinter Gitter. Im Jahrzehnt danach wurde diese »Krankheit« in den italienischen Regierungsparteien endemisch. Wie die Staatsanwälte bald feststellten, wurden nur solche Unternehmen mit Bau- und Geschäftsaufträgen belohnt, die den entscheidungsbefugten Politikern Schmiergeld zahlten.
Im Februar 1992 wurde der prominente Mailänder Sozialist Mario Chiesa in flagranti verhaftet, als er das Schmiergeld einer Firma einsteckte, die in dem von ihm geleiteten Altersheim für die Reinigungsarbeiten zuständig war. Er kam in Untersuchungshaft und schwieg zunächst, bis er, von der Führung seiner eigenen Partei fallengelassen, beschloss, die Fragen der Staatsanwaltschaft zu beantworten. Schnell wurde klar, dass er kein Einzeltäter war, sondern Teil eines riesigen, weit verzweigten Netzwerks der Korruption. Um Licht ins Dunkel zu bringen, stellte der Leitende Staatsanwalt von Mailand ein Ermittlerteam zusammen, deren Tätigkeit viele Schuldige zu einem Geständnis bewog. Im Zuge dieser Untersuchungen, die unter dem Schlagwort Mani pulite (»Saubere Hände«) bekannt sind, wurden Hunderte Angehörige der Regierungskoalition für schuldig befunden, Schmiergelder angenommen und in die Kassen ihrer Partei geschleust oder in die eigene Tasche gesteckt zu haben.
Die Schmiergeldaffäre, unter dem Schlagwort Tangentopoli bekannt, führte zum Zusammenbruch des politischen Systems der vergangenen 50 Jahre. In den 16 Jahren unter Craxis Führung hatte sich die Sozialistische Partei, durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bestätigt, in eine der korruptesten Parteien Italiens verwandelt. Craxi bestritt dreist die zahlreichen gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Als ihm klar wurde, dass seine strafrechtliche Verurteilung unausweichlich war, flüchtete er nach Tunesien in seine Villa und betrat nie mehr italienischen Boden. Zum Justizflüchtling erklärt, wurdeer in Abwesenheit zu 27 Jahren Haft verurteilt. Sein
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