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Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition)

Titel: Auf der Suche nach Italien: Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gilmour
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noch bevor die Produktion begann. Solche Projekte waren nicht nur ökologisch verheerend, sie entfachten auch einen blutigen lokalen Bandenkrieg um die Vergabe von Aufträgen, bei dem Hunderte ihr Leben ließen. Auch andere Projekte in Sizilien, Apulien und Sardinien scheiterten, weil politische und nicht wirtschaftliche Interessen Vorrang hatten. Einige Betriebe, die hier angesiedelt wurden, produzierten nie etwas, andere schlossen kurz nach ihrer Fertigstellung. Solche Projekte nannte man »Kathedralen in der Wüste«. Die Cassa per il Mezzogiorno versiegte 1984. Sie wurde ein Opfer ihrer eigenen Investitionspolitik, scheiterte aber auch, weil kriminelle Elemente nicht daran gehindert wurden, sich die Gelder anzueignen. Zu einem der übelsten Beispiele für die Korruption in Süditalien kam es nach dem Erdbeben in Neapel 1980, bei dem 2400 Menschen starben. Staatliche Hilfen für den Wiederaufbau wurden umgeleitet, um einen neuen Typus von Geschäftsmann zu bereichern, der mit den kriminellen Camorra-Clans eng verbunden war.
    Schlimm genug war es, sich durch Bestechung Wählerstimmen zu verschaffen, absolut verheerend wirkte es sich aber aus, Kriminelle zu schützen, um die eigene politische Macht zu erhalten. Hochburgen der christdemokratischen Wählerschaft in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren Sizilien und Venetien. Während jedoch die Bewohner im Nordosten Italiens im Einklang mit ihren Interessen und Traditionen demokratisch wählten, richteten sich sizilianische Wähler nach den Wünschen der Mafiabosse. Die Christdemokraten brauchten die Mafiosi, um diese Stimmen für sich zu verbuchen, und die Mafiosi brauchten die Politiker, um vor polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung sicher zu sein. Diese wechselseitige Abhängigkeit wurde zwar von Christdemokraten in anderen Teilen Italiens kritisiert, doch die Machenschaften wurden immer schamloser und schließlich lebensgefährlich. Führende sizilianische Christdemokraten spielten eine Doppelrolle als Politiker und manchmal auch Minister in Rom und als Beschützerder Mafia in Sizilien. Sie waren zwar selbst keine »Ehrenmänner«, also Mafiosi, aber doch »Freunde«, die lieber ihr Land verrieten als ihre Freunde, wie es E. M. Forster in einem anderen Zusammenhang formulierte.
    Die umstrittenste Figur aus dem mafiosen Umfeld der Democrazia Cristiana war Giulio Andreotti, der zwar in religiösen, nicht aber politischen Angelegenheiten gewissenhaft war und als ausgefuchst, machiavellistisch, ja »jesuitisch« bezeichnet wurde. Andreotti stammt aus Latium, wo seine Machtbasis klein war, und er brauchte Sizilien, um in den 20 Jahren nach 1972 sieben Mal Ministerpräsident von Koalitionsregierungen zu werden. Seine Beziehungen zur Mafia waren zwar offenkundig – man kann ihn als ihren obersten Schutzherrn sehen –, aber in Sizilien operierte er mittels zweier berüchtigter Sachwalter: Salvo Lima und Vito Ciancimino. So pingelig er in seinen persönlichen Präferenzen war, in der Wahl seiner Untergebenen war er nicht zimperlich. Als Bürgermeister und Baustadträte von Palermo erteilten Lima und Ciancimino Strohmännern der Mafia Tausende Baugenehmigungen, bereicherten sich dabei selbst und waren somit für die »Plünderung« der sizilianischen Hauptstadt verantwortlich. Cianciminos Macht war so unangefochten, dass er höchstpersönlich entschied, welche Sänger am Opernhaus Palermo engagiert wurden. Doch er überspannte den Bogen. 1984 wurde er verhaftet und später wegen Korruption und Zugehörigkeit zur Mafia verurteilt. Lima hatte eine Zeit lang mehr Glück und wurde sogar Minister in der Regierung Andreotti. In seiner Doppelrolle als Botschafter der Mafia in Rom und Andreottis Vizekönig in Palermo verkörperte er den Prototyp des sizilianischen Christdemokraten.
    Bis in die 1970er Jahre leugneten viele Sizilianer die Existenz der Mafia. Ein Kardinal und Erzbischof behauptete, die Mafia sei eine Erfindung der Kommunistischen Partei, und sein Nachfolger verstieg sich zu der Aussage, durch die Mafia seien weniger Menschen ums Leben gekommen als durch Abtreibung. Doch die Enthüllungen der pentiti , reumütiger Mafiosi, die sich als Kronzeugen der Justiz zur Verfügung stellten, belegten schon bald, dass sie eine straff geführte Organisation war oder inzwischen geworden war. Vorbei war die Zeit der alten Provinzbosse, die unangreifbar in den von ihnen beherrschten Territorien Gefälligkeiten verteilten, Morde in Auftrag gaben und von der Bar auf der

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