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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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meinen beiden jüngsten Geschwistern. Wir standen uns sehr nah. Die Situation, wie sie jetzt ist, ist besonders für Linda, aber auch für mich sehr belastend.
    Als ich nach dem Kontaktabbruch mit meiner Mutter zu Dirk fuhr, um meine Geschwister zu besuchen, veränderte sich Linda sehr stark. Anfangs traute sie sich nicht einmal, auf mich zuzukommen. Erst wenn Dirk ihr sagte, dass sie das ruhig tun darf, traute sie sich, ein wenig mit mir zu reden. Inzwischen ist es noch schlimmer geworden, Linda spricht nun so gut wie gar nicht mehr mit mir. Sie verleugnet sich sogar am Telefon und behandelt mich, als wäre ich eine Fremde.
    Unsere Mutter nimmt vor allem Linda mit ihrer Erpressung eine wichtige Bezugsperson. Ich finde es sehr fragwürdig, ob eine Mutter ihre Kinder so unter Druck setzen und die Gefühle ihrer Kinder derartig verletzen darf. Mit ihrem Druck löst sie bei Linda und Tim eine solche Angst aus, dass die Kinder sich nicht mehr trauen, mit ihrer eigenen Schwester zu sprechen. Wie kann eine Mutter, die behauptet, ihre Kinder zu lieben, ihnen so etwas antun? Die Situation an sich, dass Mutter im Gefängnis sitzt, ist schon schwer genug für die Kinder zu begreifen und zu verarbeiten. Gerade deshalb ist es umso schlimmer, dass dann auch noch dieser Druck auf sie ausgeübt wird.«
    Tinas Mutter vernachlässigte ihre zahlreichen Kinder – die von verschiedenen Vätern stammten und davon teilweise nichts wussten. Sie misshandelte sie gefühlsmäßig und körperlich. Tina schildert einige schlimme Erlebnisse in ihrer Kindheit und Jugend:
    »Ich selbst hatte auch immer Druck durch meine Mutter und weiß deshalb, wie belastend das ist. Als ich noch eine Jugendliche war, hat sie mir immer wieder gesagt, dass sie mich rauswirft, wenn ich nicht tun würde, was sie sagt. Die Situation für mich war unerträglich, denn ich lebte mit der Angst, dass sie ihre Drohung in die Tat umsetzt und ich auf der Straße klarkommen müsste.
    Für uns heute erwachsenen Kinder war es zu Hause normal, dass, wenn die Hausaufgaben fehlerhaft waren oder wir etwas nicht wussten, es nicht lange dauerte, bis wir eine ordentliche Backpfeife von Mutter bekamen. Wenn es bei einer Backpfeife blieb, war das noch harmlos. Es war ein Albtraum. Wir hatten immer Angst, einen Fehler zu machen. Abgesehen davon kamen noch die vielen Beleidigungen und Beschimpfungen von Mutter oben drauf, die uns das Gefühl gaben, ein Nichts oder eher noch das Allerletzte zu sein.
    Als ich fünfzehn Jahre alt war, sammelte ich über mehrere Monate Tabletten, mit denen ich mir das Leben nehmen wollte. Mir war damals nicht klar, dass ich mir hätte Hilfe beim Jugendamt holen können. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich beim Jugendamt gemeldet. Doch so habe ich alles mit mir alleine ausgemacht und dachte, das sei der einzige Weg. Eines Abends drohte meine Mutter mir, dass sie mich nun wirklich rausschmeißen würde. Ich solle am nächsten Morgen verschwinden. An diesem Abend nahm ich alle Tabletten, die ich heimlich gesammelt hatte. Ich fühlte mich bald furchtbar krank, schwach und mir war übel. In der Hoffnung, dass ich einschlafen und dabei sterben würde, legte ich mich in mein Bett. Doch am nächsten Morgen wachte ich wieder auf. Mir ging es weiterhin richtig schlecht. Ich übergab mich mehrmals und fühlte mich sehr schwach. Weil ich nicht wusste, was ich nun tun sollte, und auch nicht, ob meine Mutter mich nun wirklich vor die Tür setzen würde, schrieb ich ihr einen kurzen Brief. Darin erklärte ich ihr, was ich getan hatte und warum ich so krank wirkte. Sie las den Brief und wurde nur noch wütender. Dann sagte sie mir, wenn ich das Gefühl hätte, ich bräuchte einen Notarzt, dann solle ich mir selbst einen rufen. Die würden mich dann auch direkt in die geschlossene Psychiatrie bringen, wo ich ja offenbar hingehöre. Warum ich das getan hatte und wie es mir ging, war ihr völlig egal. Ich war unglaublich erschöpft und lag den ganzen Tag nur in meinem Bett. Wahrscheinlich hat Mutter doch befürchtet, dass sich mein Zustand verschlimmern könnte. Sie hat nämlich alle paar Minuten irgendwas gerufen, auf das ich antworten musste. Damit hat sie wohl überprüft, ob ich noch ansprechbar war. Zum Glück wurde mein Zustand langsam besser. Natürlich warf sie mich dann doch nicht aus der Wohnung raus.
    Leider bin ich auch nicht das einzige Kind meiner Mutter, das sich schon früh das Leben nehmen wollte. Meine ältere Schwester Cindy hat versucht, mit acht Jahren

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