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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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rein. So rein, wie es bei einem Psychopathen bleiben würde, wenn er an einem Teich mit einem ertrinkenden Kind vorbeispaziert und entscheidet, dass ihm seine teuren, neuen Lederschuhe wichtiger sind als das Leben des Kindes.

Sie würden nie ein Kind töten?
– Da wäre ich mir nicht so sicher
    Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem Krieg. Die feindlichen Truppen ziehen durch Ihre Stadt und wollen alle Einwohner töten – also auch Sie, Ihre Familie und Ihre Nachbarn. Um zu überleben, haben Sie sich mit einigen Ihrer Nachbarn in einem kleinen Kellerraum versteckt, der nur durch eine Bodenluke zu erreichen ist. Die Luke ist von einem Teppich verdeckt. Sie haben also gute Chancen, dort zu überleben, bis die Truppen weitergezogen sind. Alle im Keller haben panische Angst, als sie hören, dass ein Trupp feindlicher Soldaten das Haus durchsucht. Sie dürfen nicht das geringste Geräusch verursachen, damit die Soldaten ihr Versteck nicht finden. Plötzlich merken Sie, dass das Baby im Arm einer Ihrer Nachbarinnen unruhig wird. Alles passiert im Bruchteil von Sekunden. Ihnen wird klar, dass das Baby gleich anfängt zu schreien. Dann werden die Soldaten im Raum über Ihnen sofort merken, wo Sie versteckt sind, und alle töten – daran besteht kein Zweifel. Irgendjemand muss dem Baby sofort den Mund zuhalten. Ihnen ist völlig klar, dass es dadurch ersticken wird. Wenn Sie aber nichts unternehmen, werden die Soldaten alle erschießen, auch das Baby. Was tun Sie?
    Wenn Sie sich in diese Situation hineindenken, fühlen Sie wahrscheinlich großes Entsetzen. Vernünftig gedacht, gibt es keine andere Möglichkeit, als das Baby zu ersticken. Entweder das Baby stirbt, oder alle sterben mit dem Baby zusammen. Doch ist es nun »gut« oder »böse«, das Baby in dieser Situation zu töten? Ein unschuldiges Kind zu töten, wird von den allermeisten Menschen als absolut böse empfunden. Allein die Vorstellung, dass Sie dabei zusehen müssten, wird Ihnen unerträglich sein. Sowohl Ihre persönliche Überzeugung, dass es eigentlich Unrecht ist, als auch Ihr starkes Gefühl sind sich in dieser Sache völlig sicher: Das kann nicht gut sein, es muss böse sein.
    In Ihrem Gehirn streiten bei diesem Gedankenexperiment die Hirnregionen für Gefühle mit jenen für vernünftige, sachliche Lösungen. Ihr »Gefühlszentrum« fährt zur Hochform auf und sendet unmissverständlich die Botschaft: »Das fühlt sich grauenvoll an, das darfst du nicht zulassen, es ist zutiefst böse, ein Baby zu töten!« Das »Vernunftzentrum« sendet aber die ebenso klare Botschaft: »Das Baby wird auf jeden Fall sterben. Egal was du tust, dieses Ergebnis lässt sich nicht ändern. Wenn wegen dem Baby alle sterben, sind die ›Kosten‹ aber höher. Das Baby muss erstickt werden, damit wenigstens die anderen überleben.«
    Denken Sie nach. Wenn Sie in dieser Lage das Kind töten oder auch nur dabei zusehen, sind Sie dann böse? Wären Sie nur dann nicht böse, wenn Sie diese böse Tat auf keinen Fall zulassen würden? Wenn Sie das, was Ihr Gefühlszentrum als böse empfindet, nicht tun, müssen Sie jedoch Ihr Leben und das aller anderen im Keller opfern – auch das des Babys. Glauben Sie, dass Sie aus dieser Situation nur als toter, aber guter – weil schuldloser – Mensch oder als böser, aber lebender Mensch herauskommen? Wofür würden Sie sich entscheiden?
    Dieses Gedankenexperiment wurde als »das Baby-Dilemma« durch die erfolgreiche US-amerikanische Fernsehserie M*A*S*H bekannt, die im Koreakrieg spielt. Eine ähnliche Situation, in der eine Mutter ihr Baby töten muss, war in der letzten Folge von M*A*S*H zu sehen. Diese Serienfolge, ausgestrahlt am 28. Februar 1983, hält bis heute mit 106 Millionen Zuschauern den Rekord für die höchste Einschaltquote, die eine Fernsehserie in den USA jemals erreichte. Das »Baby-Dilemma« am Ende einer solchen Serie darzustellen, war psychologisch gesehen eine sehr clevere Idee. M*A*S*H erzählt die Geschichte zweier Chirurgen der US-Armee, die in einem mobilen Feldlazarett den Koreakrieg miterleben. In der Serie wird gezeigt, wie schrecklich, grausam und ungerecht die Auswirkungen eines Krieges sind.
    Das »Baby-Dilemma« führt dem Zuschauer vor Augen, dass in manchen Situationen die Grenze zwischen »Gut« und »Böse« verschwimmt. Im echten Leben werden »gute« Menschen nicht in letzter Sekunde von einem Wunder oder einem strahlenden Helden gerettet. Jeder Mensch könnte irgendwann in eine Lage

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