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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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andere Menschen geben – jedoch auf andere Art, als sie es sich hätte vorstellen können.

Sei vorsichtig, was du dir wünschst – es könnte in Erfüllung gehen
    Die Macht zu töten
    könnte ebenso befriedigend sein
    wie die Macht zu erschaffen.

    (Brandon Shaw im Film
»Cocktail für eine Leiche«
von Alfred Hitchcock)
    An einem warmen, sonnigen Freitagvormittag – dem 9. Mai 1997 – geht Marta mit ihrer Freundin Jolanda Ricci über den Campus. Die jungen Frauen betreten zwanzig vor zwölf eine Seitenstraße neben der juristischen Fakultät. Jolanda hört ein kurzes, dumpfes Geräusch. Da sackt Marta neben ihr zusammen. Marta muss gestürzt sein, glaubt Jolanda. Sie kniet sich sofort zu ihrer Freundin, die regungslos, mit geöffneten Augen, am Boden liegt. Ohne zu begreifen, was passiert ist, nimmt sie den schon schlaffen Körper in die Arme. Da sieht Jolanda Blut in Martas blondem Haar. Es tritt aus einem Loch hinter ihrem linken Ohr hervor. Jolanda gerät in Panik und schreit verzweifelt. Ein zufällig vorbeikommender Student ruft den Notarzt.
    Der Rettungswagen trifft schnell ein und bringt Marta – die zu diesem Zeitpunkt noch am Leben ist – ins Krankenhaus. Dort wird klar, dass sie eine Pistolenkugel getroffen hat und die noch in ihrem Kopf steckt. Vier Tage lang wachen die Eltern, die Schwester und der Freund an Martas Bett, während sie im Koma liegt. Dann wird sie für tot erklärt. Die Ärzte fragen ihre Eltern, ob sie einer Organspende zustimmen. Die Eltern wissen, dass dies ein Wunsch war, den Marta bereits im Alter von elf Jahren geäußert hatte. Daher willigen sie ein. Martas Herz, ihre Leber und ihre Nieren retten anderen Menschen das Leben.
    Niemand versteht, warum das alles passiert ist. Niemand hatte einen Grund, Marta zu töten. Sie hatte keine Feinde, keine Geheimnisse, es gibt nichts, was den Mord an ihr erklären würde. Niemand hat den Täter gesehen, zunächst bleibt sogar unklar, von wo der Schuss abgefeuert wurde. Die Ermittler, die Familie und die Öffentlichkeit sind ratlos.
    Martas sinnloser Tod erregt großes Medieninteresse in Italien. Der Tatort wird zur Gedenkstätte, der Toten wird die Ehrendoktorwürde verliehen. Ihrer Trauerfeier wohnen über zehntausend Studenten und der Staatspräsident persönlich bei. Sogar der Papst betet öffentlich für Marta. Die ganze Geschichte ist einfach unglaublich, sie könnte einem Kriminalroman von Donna Leon entsprungen sein. Eine Elite-Universität als Ort des Verbrechens, eine bildhübsche, liebenswerte Studentin als Opfer, keine Verdächtigen, keine Tatwaffe, keine Zeugen und vor allem: kein Motiv.

Ein Mord, zu gut, um wahr zu sein?
    Die Ermittler stehen unter großem Druck der Öffentlichkeit. Sie untersuchen den Tatort sehr genau und finden heraus, aus welcher Richtung der Schuss kam. Er muss aus einem Fenster der juristischen Fakultät abgefeuert worden sein. Die in Frage kommenden Räume werden durchsucht. Zwei Tage nach Martas Tod findet die Polizei Schmauchspuren an einem Fenstersims. Das Fenster gehört zu einem Büro am Institut für Rechtsphilosophie. Dieses Büro wird als Studienraum für Assistenten genutzt. Dies erscheint zunächst wie ein schlechter Scherz. Warum sollte jemand sich in der juristischen Fakultät, und dann noch ausgerechnet im Bereich für Rechtsphilosophie, an ein Fenster stellen und scheinbar grundlos die junge Frau töten?
    Die Polizei findet heraus, dass sich mindestens fünfundzwanzig Mitarbeiter des Instituts regelmäßig in diesem Raum aufhalten, da sie die Bücher und Computer dort nutzen. Alle Angehörigen des Instituts werden von der Polizei befragt, doch niemand will auch nur ansatzweise etwas über den Mord wissen. Der Polizei kommt das kollektive Schweigen verdächtig vor. Schließlich müssten die Institutsmitarbeiter doch bestürzt darüber sein, dass einer von ihnen der Mörder sein könnte. Daher wäre zu erwarten, dass wenigstens einige von ihnen zumindest irgendwelche Vermutungen oder Beobachtungen zur Tat äußern. Will man den Aussagen aller Mitarbeiter Glauben schenken, so muss der Täter jedoch ein Geist gewesen sein.
    Der Polizeichef von Rom ist verärgert. Er geht davon aus, dass die Mitarbeiter unter Druck gesetzt werden, nichts zu sagen, was ihrem Institut schaden könnte. Solche Methoden sind gerade der italienischen Polizei vor allem von der Mafia wohlbekannt. Fast einen Monat lang kommen die Ermittlungen kaum voran. Dann beweist ein von der Polizei abgehörtes und

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