Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Psychopathen werden nicht zu Serienmördern.
Sie haben inzwischen eine Vorstellung davon, wie ein psychopathischer Mensch denkt und fühlt. Er befriedigt seine Bedürfnisse möglichst schnell und direkt; wenn es ihm »sinnvoll« erscheint, auch auf Kosten anderer. Damit ein Psychopath jedoch zum Serienmörder wird, muss er einen Drang verspüren, zu töten, und das immer wieder. Viele Psychopathen haben diesen Drang nicht. Daher haben sie einfach keinen Grund, Menschen zu töten.
Die weitverbreitete Vorstellung, Psychopathen müssten alle einen »Trieb zum Töten« in sich tragen – wie die Hauptfigur der Serie »Dexter« –, ist falsch. Viele Psychopathen wollen »nur« Anerkennung, Geld, Sex und ein abwechslungsreiches Leben, ohne dass sie je die Lust verspüren, andere zu töten oder auch nur zu foltern. Gefährlich werden sie dann, wenn es ihnen etwas nützt, andere Menschen »zu beseitigen«. Erscheint ihnen das, was sie erreichen wollen, wichtig genug, dann scheuen sie auch nicht davor zurück, im wörtlichen Sinne über Leichen zu gehen.
Gründe für Morde, die solche Psychopathen begehen, gibt es viele:
– Sie glauben, ein anderer Mensch steht ihnen bei etwas Wichtigem im Weg.
– Sie fühlen sich von jemandem sehr gekränkt.
– Sie fühlen sich bedroht durch etwas, das ein anderer tun könnte.
– Sie versprechen sich einen finanziellen Gewinn von ihrer Tat.
– Manchmal wollen sie lediglich ihr Selbstwertgefühl dadurch aufpolieren, dass sie jemanden töten und damit ungestraft davonkommen.
All diese Gründe folgen dem psychopathischen Grundprinzip »Was mir nützt, ist gut.« Andere Menschen sind nur Spielfiguren, die der Psychopath, um sein Ziel zu erreichen, entweder benutzt oder vom Spielfeld fegt. Die natürlichen Hemmungen Mitgefühl und Schuldgefühl hat er nicht. Höchstens die Aussicht, hart bestraft zu werden, kann ihn abschrecken. Doch wenn er glaubt, mit einem Mord ungestraft davonkommen zu können, oder wenn ihm der »Gewinn« aus dieser Tat ein gewisses Risiko wert ist, dann hält ihn nichts mehr davor zurück.
Ein stark ausgeprägter Psychopath, mit dem ich sprach, erklärte beispielsweise, warum er seine Geliebte getötet hatte, so: »Ich war verheiratet und hatte Kinder. Dass ich meine Familie nicht aufgeben würde, wusste sie. Trotzdem hat sie versucht, mich immer mehr unter Druck zu setzen, damit ich meine Frau verlasse. Irgendwann drohte sie, nachdem wir Sex gehabt hatten und sie wieder mit diesem Thema anfing, jetzt gleich meine Frau anzurufen und ihr alles zu sagen. Damit hat sie mich sehr wütend gemacht. Es war ihre Schuld, sie hätte mich nicht bedrohen sollen, ich hab ihr nie etwas versprochen.«
Des Teufels Advokaten und der fast perfekte Mord
Eitelkeit … eindeutig meine Lieblingssünde!
(Der Teufel alias John Milton im Film »Im Auftrag des Teufels«)
Marta Russo ist eine auffallend attraktive, 22-jährige Jurastudentin im dritten Semester. Ihr Gesicht sieht aus wie das einer wertvollen Porzellanpuppe. Das lange Haar ist blond gefärbt, ihre graublauen Augen haben einen nachdenklichen, aber freundlichen Ausdruck. Sie studiert an der größten Universität Europas, der ältesten in Rom. Die »La Sapienza« hat einen hervorragenden Ruf, viele berühmte italienische Persönlichkeiten studierten und lehrten dort. Marta ist eine engagierte Studentin und hat eine vielversprechende Zukunft vor sich. Die intelligente, junge Frau ist glücklich verliebt in ihren Freund Luca, einen Techniker für Alarmanlagen. Sie wohnt noch bei ihren Eltern, mit denen sie sich gut versteht, ebenso wie mit ihrer Schwester. Ihr Leben scheint absolut perfekt zu sein.
Das Opfer: Marta Russo.
Alle, die Marta kennen, wissen, wie hilfsbereit sie ist. Jura studiert sie nicht, weil sie zu Geld und Macht kommen will. Ihr Wunsch ist es, Menschen damit zu helfen und vielleicht ein bisschen die Welt zu verbessern. Marta glaubt, dass sie als Juristin Menschen beistehen kann, die unverschuldet in eine Lage kamen, in der sie einen Anwalt brauchen. Unter den vielen Jurastudenten auf dem Campus ist sie eine der wenigen mit hohen Idealen. Ihrem Tagebuch vertraut sie an: »Wie gern würde ich mein Leben für andere geben, nur weiß ich nicht, wie man das macht.« Als sie dies schreibt, weiß Marta nicht, dass sie durch ihren Tod mehreren Menschen das Leben retten wird. Ebenso wenig kann sie ahnen, dass bald jeder in ihrem Heimatland ihren Namen und ihre Geschichte kennen wird. Marta wird ihr Leben für
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