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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Benecke
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Form daher auch einzigartig.

Vorhersagen, Zufälle und der freie Wille
    Heutzutage lässt sich mithilfe all der Informationen, die Wissenschaftler mittlerweile über Psychopathie haben, insbesondere des »Psychopathie-Baukastens«, der auf der Checkliste von Robert Hare basiert, sehr gut erklären, was in Nathan und Richard vorgegangen ist. Es lässt sich nicht nachfühlen, aber logisch begreifen. Der Fall Franks zeigt, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale unter bestimmten Umständen tatsächlich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu bestimmten Verhaltensweisen führen.
    Beim Versuch, ein bestimmtes Verhalten aus bestimmten Persönlichkeitseigenschaften abzuleiten und vorherzusagen, gibt es allerdings zwei große Unsicherheitsfaktoren:
    Den Faktor »Zufall«, der eine Geschichte unvorhergesehen in die eine oder andere Richtung leiten kann.
    Den Faktor »freier Wille«, der zwei Menschen mit fast identischen Eigenschaften dennoch dazu bewegen könnte, in einer Situation unterschiedliche Entscheidungen zu treffen.
    Angewendet auf Nathan und Richard, die als Verbrecherduo »Leopold und Loeb« in die Kriminalgeschichte eingingen, kann man daher folgende Fragen stellen und beantworten:
    – War es wahrscheinlich, dass zwei so ähnliche, sehr ungewöhnliche Männer sich begegnen?
    – Nein, hier war der Faktor »Zufall« entscheidend.
    – War es wahrscheinlich, dass sie, nachdem sie sich begegnet waren, Freunde wurden?
    – Ja, denn Menschen suchen sich eher Freunde, mit denen sie viel gemeinsam haben. Da diese beiden mit den meisten anderen in ihrem Umfeld nur sehr wenig gemeinsam hatten, war es sehr wahrscheinlich, dass sie sich anfreundeten.
    – War es wahrscheinlich, dass sie sich in ihren Persönlichkeitsmerkmalen gegenseitig bestärken würden?
    – In diesem Fall: Ja, denn da Nathan und Richard gegenüber ihren Mitmenschen die gleichen bösartigen, feindseligen Sichtweisen hatten, gab es kein Korrektiv. Sie bestätigten sich gegenseitig in diesen Einstellungen und trieben sie immer weiter auf die Spitze. Hätte einer von ihnen in zumindest einigen Dingen eine andere, menschenfreundlichere Haltung gehabt, dann hätte er diese Geschichte in eine völlig andere Richtung lenken können.
    – War es wahrscheinlich, dass die Persönlichkeitsmerkmale der beiden in schädliches Verhalten münden?
    – Ja.
    – Hätte jemand, der Nathan und Richard privat kannte, vorhersehen können, dass diese beiden Männer eine solche Straftat begehen?
    – Nein. Menschen mit psychopathischen Merkmalen sind derart begnadete Schauspieler, dass niemand – nicht einmal enge Freunde – wahrnehmen kann, wie sie wirklich sind. Und selbst wenn es jemand tut – es gelten immer noch die Faktoren »Zufall« und »freier Wille«.
    In gewisser Hinsicht beantwortet der Faktor »Zufall« auch die Frage, ob es den perfekten Mord gibt. Nein, es gibt ihn nicht – höchstens in Kriminalromanen. Selbst wenn zwei hochintelligente Jurastudenten ihre Tat über sieben Monate genauestens planen, können sie auffliegen, nur weil ein kleiner Zufall – in Form einer unscheinbaren Hornbrille – die Ermittler auf die richtige Spur führt. Ebenso gut aber kann ein ungeplanter Mord unaufgeklärt bleiben, nur weil der Zufall dafür sorgt, dass die entscheidenden Hinweise nie gefunden werden.

Das Ende der Geschichte von »Leopold und Loeb«
    Der Anwalt der jungen Männer schaffte es sprichwörtlich, ihren Hals aus der Schlinge zu ziehen; sie wurden wegen Mord und Entführung »nur« zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Im Gefängnis – sie kamen zu ihrer großen Freude in dasselbe – bildeten sie sich weiter und bauten eine Schuleinrichtung für Gefangene auf, wo sie auch selbst Unterricht gaben. So konnten sie sich selbst in der Haft durch ihre Intelligenz über die anderen stellen.
    Nachdem Nathan und Richard zwölf gemeinsame Jahre im Gefängnis – allerdings in verschiedenen Zellen – verbracht hatten, wurde Richard im Alter von dreißig Jahren von einem Mitgefangenen getötet. Der Täter gab an, Richard habe unter der Dusche versucht, ihm sich auf »homosexuelle Weise« zu nähern, was ihn zum Ausrasten gebracht hätte. Er tötete Richard mit einem Rasiermesser. Nathan wurde erlaubt, Richards Leiche noch im Gefängnis zu sehen. In einem Buch, das er später schrieb, erzählte er: »Wir bedeckten ihn mit einem Bettlaken. Nach einem Moment zog ich das Bettlaken von seinem Gesicht wieder zurück und setzte mich auf einen Stuhl neben den Tisch, auf

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