Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Persönlichkeit funktionieren. Warum hat eine Person ganz bestimmte Eigenschaften? Warum trifft sie bestimmte Entscheidungen? Warum verhält sie sich so und nicht anders? Wie hängt ihre Persönlichkeit mit den Persönlichkeiten ihrer Freunde und Partner zusammen?
Früh war mir klar, dass ich die Antworten darauf wahrscheinlich nur in der Psychologie finden würde. Deshalb besuchte ich während meiner Schulzeit einen entsprechenden VHS-Kurs. Außerdem begann ich, nach einem Schulpraktikum in den Sommerferien, nachmittags als freie Mitarbeiterin für einen Psychologischen Psychotherapeuten zu arbeiten. In dieser Zeit lernte ich genug, um zu wissen, dass ich dieses Fach später unbedingt studieren wollte.
Seither habe ich schon sehr viele Antworten auf die Fragen gefunden, die mich früher beschäftigten. Das hat sich allerdings auch deutlich darauf ausgewirkt, wie ich Menschen wahrnehme, nämlich zerlegt in »psychologische Bausteine«. Ein psychologischer Baustein ist für mich eine menschliche Eigenschaft, die ich psychologisch beschreiben und benennen kann.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung. Jemand, den ich kennenlerne, erzählt mir übertrieben lange und ausführlich von seiner glänzenden Karriere, von seinen herausragenden Fähigkeiten als Vorgesetzter und von den vielen Luxusgütern, die er sich problemlos leisten kann. Diese Informationen »übersetze« ich für mich in »psychologische Bausteine« und ziehe meine Schlussfolgerungen daraus. Es ist, als würde ich innerlich eine Notiz zu dieser Person anlegen.
Das wäre im genannten Beispiel: »Übersteigertes Bewusstsein der eigenen Wichtigkeit; glaubt besonders und einzigartig zu sein; benötigt exzessive Bewunderung; verhält sich arrogant = wahrscheinlich narzisstische Persönlichkeit, weitere Informationen beachten.« Für mich sind die »psychologischen Bausteine« einfach eine Liste hervorstechender Eigenschaften. Diese Beschreibung meine ich nicht wertend. Im Gegenteil: Ich finde Menschen mit ganz unterschiedlichen, stark ausgeprägten Eigenschaften sehr interessant – sowohl beruflich als auch privat. Dass Menschen so verschieden sind, macht die Welt spannend und bunt.
Will man Menschen aufgrund ihrer Eigenschaften psychologisch beschreiben, kann man dafür unterschiedliche Theorien und Modelle benutzen. Im Prinzip ist es wie bei Lego-Steinen: Eine psychologische Theorie oder ein psychologisches Modell stellt ein »Bauset« dar. Darin sind viele Bausteine enthalten, also die zu diesem Set gehörenden hervorstechenden menschlichen Eigenschaften. Bei Lego kann man mit dem einen Set eine Ritterburg bauen, mit dem anderen ein Krankenhaus. Die Steine der verschiedenen Sets kann man aber auch zusammen benutzen, um etwas Neues zu bauen. Ähnlich kreativ kann man nach längerer Zeit auch verschiedene psychologische Bausets nutzen, um eine Person immer klarer in ihren psychologischen Bausteinen wahrzunehmen.
Seltsame Gemeinsamkeiten
Als Kind verbrachte ich viel Zeit alleine. Gleichaltrige fand ich eher uninteressant, weil ich sie nicht verstand und sie mich nicht. Ich tobte nicht gerne bei Sonnenschein auf Spielplätzen herum, ich konnte Pferden, Kinder- und Jugenddiscos oder Einkaufsbummeln mit Freundinnen nichts abgewinnen. Ich war also eine Außenseiterin und wollte wahrscheinlich auch deshalb die »Bösen«, die »Verrückten«, die »Außenseiter der Gesellschaft« verstehen.
Schon damals fiel mir auf, dass auch Serienmörder und andere schwere Verbrecher in ihrer Kindheit oft Außenseiter waren und keine »heile« Familie mit Mutter und Vater hatten. Da war uns etwas gemeinsam. Mir war aber auch klar, dass ich sicher kein Serienmörder werden würde. Warum wurden diese Menschen es dann? Das allein wäre für mich schon Grund genug gewesen, um mich für Verbrechen, deren Ursachen und allgemein für die »Abgründe« der menschlichen Seele zu interessieren.
Ein weiterer Grund – und eine weitere Gemeinsamkeit zwischen meinem Leben und dem vieler schwerer Verbrecher – war das Umfeld, in dem ich aufwuchs, ein veritables Ghetto am Stadtrand mit allen dazugehörigen Problemen: kaputte Familien, unglückliche Ehen, überforderte Alleinerziehende, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Drogenhandel, Kindesmisshandlung und -missbrauch, Beschaffungskriminalität, Vandalismus, Brandstiftung und Gewalt. Das alles bekam ich von klein auf in meiner unmittelbaren Nachbarschaft mit. Für meine jetzige Tätigkeit und meinen Umgang mit sehr verschiedenen Menschen
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